Arbeit und Struktur - Der Blog
Keine Arbeit, mittags Mensa, dann Schlaf. Dann Bumsmusik meines Nachbarn, dann Anfall.
23.9. 2011 18:00
Kein Arzt erreichbar, Wochenende. Fußball. Mitspieler Daniel (HNO) ruft einen befreundeten Intensivmediziner an, der telefonisch zur Benzodiazepin-Erhöhung rät, da ich mit dem Keppra praktisch an der Grenze bin.
Drei Tore geschossen, aber in der Überzahlmannschaft. Keine Befriedigung. Immerhin: keine motorischen Defizite.
24.9. 2011 13:32
Zum Nachbarn runter. Wie so oft öffnet er nicht. Aber die Musik wird leiser. Als ich wieder oben bin, wieder lauter. Ein, zwei Stunden kann ich mit Ohrstöpseln dasitzen, dann tut der Kopf weh und ich muß flüchten vor den Stimmen, die sich an den Rändern einnisten.
24.9. 2011 15:55
Thermoskanne eingepackt, Badehose, Goetz’ Klage, Rot und Schwarz.
Lieblingsgestalten der Weltliteratur: Julien Sorel.
In der Nähe der Fennbrücke gibt es eine Wiese, wo es ganz still ist, und eine Bank, wo man sitzen kann wie alte Leute. In Ufernähe gebadet.
24.9. 2011 21:45
Nächster Anfall trotz 20 mg Frisium. In der Nacht erwacht mit der gestammelten Zeile “Weser, Unterweser” auf den Lippen, keine Ahnung, ob Anfall oder nur Alptraum.
25.9. 2011 14:00
Je höher die Dosis, desto wackliger. Traue mich nicht nach Hause wegen Nachbar und übernachte bei C. Nachmittags kein Anfall, aber ständig die Ahnung einer Ahnung. Zerrüttet mich.
25.9. 2011 15:30
Liege am Plötzensee am Strand in der Sonne. C. und Lars stehen etwas abseits, und ich kann sehen, worüber sie sprechen.
Joachim hat Sand zur Hälfte gelesen und stellt die Frage, die ich mir auch schon lange gestellt habe: Was ist denn das nun eigentlich? Der Verlag hat es mal Richtung Thriller gelabelt, aber es ist ein weites Feld zwischen Unterhaltungs-, Schund- und Gesellschaftsroman, von Thor Kunkel bereits mäßig erfolgreich beackert.
26.9. 2011 07:57
Drei Minuten vor der Öffnung der Praxis am Montagmorgen sitze ich bei Dr. Fünf vor der Tür. Sofort werden die Schutzschilde hochgefahren: Keppra 3000, Frisium 30.
28.9. 2011 17:09
Leichtes Schwanken.
“Das sind die Löcher in der Kausalität. Es ist der fehlende Übergang von Ursache zu Wirkung. An diesen Stellen klafft das ganze Universum auf.” (Vogl-Interview zu Moby Dick)
29.9. 2011 12:57
Musik. Gehe zum Nachbarn und schlage vor, ihn umzubringen. Oder die Musik leiser zu drehen. Eine friedliche Möglichkeit, eine unfriedliche. Biete an, wenn es am Geld liegen sollte, ihm die teuersten, drahtlosesten, luxuriösesten Kopfhörer zu schenken, die es gibt. Aber er will gar keine Kopfhörer. Die störten auf dem Kopf, und er wolle einfach nur seine Bumsmusik hören.
C. sagt, sie habe keine Lust, mich im Gefängnis zu besuchen. Aber juristisch keine Gefahr, glaube ich, maximal Klapse, und da ist es wenigstens ruhig. In den letzten Tagen oft mit Sehnsucht an den kleinen ziegelummauerten Hof gedacht, wo man mit freundlichen Irren Frühlingsblumen gucken, Dostojewskij lesen und Tischtennis spielen konnte.
1.10. 2011 21:00
Die Sensation überwiegt die Konzeption, sagt Julia über Leben und Blog und händigt mir den Schlüssel zu den Räumen der Foucault-Gesellschaft aus, damit ich ungestört arbeiten kann. Irgendeine obskure Soziologenvereinigung.
3.10. 2011 10:19
Letzte Nacht angekommen, Julia und ihre Schwester kurz zu Besuch, Kathrin, fast wie Urlaub. Sitze jetzt im Schaufenster in der Manteuffelstraße und arbeite. Lese Xenophon und überlege, das bescheuerte Berkéwicz-Zitat in Sand durch ein ebenso bescheuertes von Sokrates zu ersetzen.
Foucault und der andere philosophische Jahrhundertmüll an den Wänden sagt mir wenig, aber die Dimension der Teekanne spricht eine klare Sprache: Hier wird gedacht, ordentlich gedacht, ein Denken in die richtige Richtung. Zwei-Liter-Teekanne, Stövchen, Darjeeling der Teekampagne. So und nicht anders geht Geist.
3.10. 2011 12:09
Allerdings auch ein ein wenig staubiger, wenn nicht gar schmutziger Geist, wider den jetzt mit der Vampyrette mal entschieden gegen angegangen werden muß.
3.10. 2011 13:33
Lese meine eigenen Dialoge und stelle fest, daß ich das Mißverständnis für das Wesen der Kommunikation halte. Es werden Fehler gemacht, und die Fehler führen zu allem. Man könnte auch Zufälle sagen, aber das Wort Fehler ist mir lieber. Ich halte den Roman für den Aufbewahrungsort des Falschen. Richtige Theorien gehören in die Wissenschaft, im Roman ist Wahrheit lächerlich. Das
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