Arbeit und Struktur - Der Blog
wie ein Zombie, sondern sehe auch so aus.
Auflösung der Außenwelt als Nachwirkung der dauernden Anfälle und der Angst vor ihnen. Weiß natürlich, daß die Außenwelt sich nicht auflöst, daß es die Auflösungserscheinungen im Innern sind, die die Außenwelt auflösen, aber das Gefühl sagt, es ist das Außen, das dahinschwindet, und gegen das Gefühl kommt die Ratio nicht an. Ich laufe durch durchsichtige Straßen, zwischen kulissenhaften Häusern und Menschenmaschinen hindurch, die von einer Sekunde auf die andere verschwunden sein können; längst verschwunden sind.
Höre ich irgendwo Stimmen, drehe ich mich um und bin erst beruhigt, wenn sich jemand ein Handy ans Ohr hält und die Lippen bewegt.
11.9. 2011 7:39
Traum: Neues MRT, neuer Arzt. Er drückt mir Formulare und zwei mit “pBarbital” überschriebene Broschüren in die Hand. Schöne Bilder mit viel Text, kann ich jetzt nicht alles lesen. Frage, ob es um die Schweizer Lösung geht, Pentobarbital. Ja. Bin verwundert, denn ich hatte dem Arzt gegenüber keine Absichten geäußert. Erinnere mich außerdem an X.s Recherche: Schmecke bitter, nicht jeder vertrage es, manche spuckten es aus und seien hinterher noch schlimmere Wracks als zuvor.
Der Arzt stellt einen blauen Plastikbecher mit der tödlichen Lösung zwischen uns auf den Tisch. Nach einer Weile trinkt er ihn selbst. Ich tue, was ich umgekehrt an seiner Stelle von mir auch erwarten würde: nichts.
Der Mann fällt um, umklammert röchelnd seinen Hals. “Hilf mir”, fiept er, und ich setze mich zu ihm und halte seine Hand. “Hilf mir!” wiederholt er fiepend, und ich sehe mich nach einer zweiten Dosis für ihn um. Blaugesichtig schleppt er sich zum Papierkorb und kotzt ihn voll.
Währenddessen finde ich auf dem Grund des leergetrunkenen Plastikbechers zwei Tabletten in blutwässriger Lösung. Hat er den Wirkstoff gar nicht genommen? Unsicher geworden versuche ich, auf dem Handy die Polizei zu rufen, aber die Sprechstundenhilfe und ein überraschend aufgetauchter Bodyguard des Arztes halten mich davon ab. Ich versuche mich unauffällig in Richtung Ausgang davonzustehlen, von Sprechstundenhilfe und Bodyguard verfolgt, da kommt aus irgendwelchen Bäumen auf der gegenüberliegenden Straßenseite plötzlich ein Mann heruntergeturnt, sonnengebräunt und gesund, im ersten Moment erkenne ich ihn gar nicht wieder: Der Arzt.
War also alles nur Theater? Ein Test? Was ich von Anfang an schon vermutet hatte, bewahrheitet sich jetzt: Das Pentobarbital war für mich bestimmt.
Was tun? Auf Hilfe hoffen? Nichts? Fliehen? Mit der schweren Tasche auf der Schulter stehen meine Chancen für eine Flucht nicht gut. Ich könnte die Tasche natürlich wegwerfen, aber da ist mein Macbook drin, mein Roman, meine Arbeit, mein ganzes Leben. Ich warte auf den richtigen Moment; dann renne ich mit dem Rechner in beiden Händen in den frühen Morgen hinaus, in den realen Morgen.
12.9. 2011 11:45
Besuch bei Dr. Fünf und neuer Versuch: Frisium 5-0-5 und Keppra 1250-0-1250.
Dr. Fünf kommt aus einem Land, das auf der Rangliste der Pressefreiheit den letzten Platz einnimmt, hinter Turkmenistan und Nordkorea. Was es alles gibt.
14.9. 2011 19:05
Leichter Anfall, Stimmen im Fernsehen, englische Stimmen im Kopf, C. angerufen, stockend sprechen geht, Unterweser geht nicht, andere Gedichte auch nicht, Brecht nicht, kein englisches Gedicht.
Experiment: Will ein neues Gedicht lernen, um zu schauen, ob das Hirn schlau genug ist, es anderswo abzuspeichern; und einen Prosatext. Weil, sitzt ja vielleicht nicht im selben Areal.
15. 9. 2011 15:00
Morgens Arbeit, mittags MRT, dann geschlafen. Traum: Wir machen Urlaub am Nordpol. Sascha hat einen kleinen Baldachin aus Schnee gebaut, unter dem eine Wasserpfütze lauwarme Temperatur erreicht (“unser Bad”). Ich tauche unter der Polkappe hindurch und mache die anderen darauf aufmerksam, daß wir uns an der höchsten, obersten Spitze eines im All taumelnden riesigen Tropfens befinden, der wasserummantelten Erde, kleine Mikroben.
15.9. 2011 19:53
Vor vielen Jahren hatte ich einmal eine Fledermaus in meiner Küche, die dort panische Achten unter meiner Lampe flog. Sie streifte meinen Kopf, stürzte ab und rutschte mit Mausgesicht und nackten Flügeln übers Linoleum. Beiderseits Panik, dann duckt der Wohnungsbesitzer sich, und das Tier rappelt sich auf und findet das Fenster.
In der Abenddämmerung des Hinterhofs dreht nun wieder eine ihre Runden.
16.9. 2011
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