Arbeit und Struktur - Der Blog
höher wird, dann kniehoch. In der Ferne Reste eines Tores, dahinter eine Lichterreihe, die eine unbefahrene Straße zu säumen scheint, von der mich ein hoher Zaun trennt. Ich gehe hin und her, die Baumgruppe folgt mir wie ein Schatten, jetzt will ich zurück. Nachdem ich zum fünften Mal vor der Villa stehe, weiß ich, daß ich mich verlaufen habe. Ich stapfe durch Unterholz und Morast und versuche, es unter Recherche für den neuen Roman zu verbuchen.
In unregelmäßigen Abständen ein schwacher Schein in den Sträuchern, eine Art Bach, eine betonierte Abflußrinne, ist das der See?
Handy hab ich dabei, aber was soll ich damit? Hallo, einen Notfallhelikopter mit Wärmebildkamera zum Plötzensee bitte, Herrndorf hier, ja, nicht weit vom Ufer des Plötzensees entfernt unter einem großen Busch, Hartriegel, ja, nein, das könnte Hartriegel sein, natürlich ist das mein Ernst, Hirnschaden, Heinrich Emil Richard Richard Nordpol, D, Dorf wie Dorf -
Endlich ein Radfahrer, den ich fragen kann. Falls er nicht bremst, plane ich, mich mit ausgebreiteten Armen auf den Weg zu stellen, und wenn er versucht, um mich herumzufahren, bin ich entschlossen, ihn am Gepäckträger festzuhalten, so groß ist die Angst mittlerweile. Aber er hält, und extrem freundlich weist er mir den Weg: einfach da geradeaus.
Der Klang seiner Stimme und der im Nullwinkel gehobene Arm verraten mir, daß wir uns keine zwanzig, dreißig Meter vom See entfernt befinden können. Also einfach geradeaus. Zur Sicherheit strecke ich beide Arme vor, um den Sektor, innerhalb dessen mein Ziel liegt, noch einmal zu markieren. Daß das mit den Armen nicht funktioniert, wird mir nach drei Schritten klar, und stattdessen einen Baum anzupeilen, funktioniert genauso wenig. Die Bäume sehen alle gleich aus, und wenn ich um einen herum bin, weiß ich nicht, woher ich komme und wohin ich muß.
So irre ich zwischen Parkanlagen, Wiesen und Friedhöfen immer weiter im Kreis, bis ich im Licht eines explodierenden Blitzes plötzlich etwas durch das Laub aufblinken sehe, und das ist der See.
Zu Hause steige ich mit Jeans und Schuhen unter die Dusche, und ein halber Kubikmeter Sand, Gras und Schlamm spült von mir herunter in den Abfluß.
31.8. 2012 18:30
Die Schwester führt mich in den Raum mit dem Magnetresonanztomographen. Auf dem Untersuchungstisch liegt eine nackte Frau mit weit gespreizten Beinen. Da ist schon jemand, sage ich, und die Schwester führt mich in den nächsten Raum. Aus Angst, es könnte nun jeder mitkriegen, daß der Arzt seine Patientinnen vor dem MRT vögelt, versuche ich, so leise wie möglich aufzutreten; aber das ungenierte Gebaren der Belegschaft macht mir klar, daß es ohnehin längst alle wissen.
Das ist der Traum, den ich habe in der Nacht vor dem MRT. Kurz vor Mittag liege ich in der Röhre, und bis zum Abend warte ich zu Hause auf den Anruf des Radiologen. Normal erfahre ich den Befund von ihm nie, aber es ist Wochenende, und wenn das Glioblastom in meinem Kopf zufällig gerade explodiert sein sollte, kriege ich aus naheliegenden Gründen heute schon Bescheid.
Ich warte. Am späten Nachmittag eine unbekannte Nummer im Display, und ein Mann fragt, wer ich bin. Ich frage, wer er ist, und er spricht von wissenschaftlichen Methoden, nach denen nun vorgegangen wird. Erst nach einer Minute Gerede wird mir klar, daß er fürs Forsa-Institut arbeitet, und ich verabschiede ihn mit den leider viel zu schwachen Worten, er solle aus meiner Leitung gehen – gehen Sie aus meiner verdammten Leitung, ich sterbe, Sie verblödeter, im Leben nichts gelernt habender Callcenterarsch von Ihrem Scheiß-Forsa-Institut -
2.9. 2012 11:25
Während des Studiums in Nürnberg bin ich manchmal bei Karstadt einkaufen gegangen, ein Nobelschuppen mit goldenen Einkaufswagen. Da hatten sie einen jungen, schwindenden Mann, der an der Kasse angelernt werden sollte. Das ging nicht, also räumte er eine Weile die Regale ein. Das ging auch nicht, also schob er hinter der Kasse die Wagen zusammen. Monatelang. Es brauchte nicht unbedingt einen Einkaufswagenschieber, aber da schon mal einer da war, ließen die Leute ihre Wagen sofort hinter der Kasse los, ein Chaos war die Folge. Nach einiger Zeit drehte der junge Mann durch. Sein Gesichtsausdruck wurde freudig erregt, sein Mund formte lautlose Schreie. Wenn er einen Einkaufswagen geschnappt und in die Schlange der wartenden Wagen geschoben hatte, machte er die Säge. Er lief zwischen hochtoupierten Seniorinnen mit
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