Joshua Schreck: Fischer. Nur für Jungs (German Edition)
1
Für die meisten Menschen ist das Ende der Welt etwas Schreckliches. Für andere ist es ein Beruf.
Unsere Klasse musste die sechste Stunde vorzeitig beenden, weil meine Eltern versuchten, die Erde zu fluten. Der Wetterbericht hatte gewaltige Hurrikans, Tornados, Gewitter, Taifune, Monsune, Erdrutsche und schwere Stürme vorhergesagt.
»Wir bitten alle Schüler, das Gebäude in geordneter Weise zu verlassen«, dröhnte Direktor Sloanes Stimme aus dem Lautsprecher. »Vermeidet auf eurem Weg nach draußen, zu rennen oder euch wie eine wilde Meute aufzuführen. Vor dem Eingang stehen Busse bereit.«
Nicht dass meine Eltern mir von ihrem Plan, die Erde zu fluten, tatsächlich erzählt hätten. Doch in den letzten Wochen hatte es eine Menge Andeutungen gegeben. Dad hatte jede freie Minute im Garten zugebracht und an seiner neuen Wetter-Veränderungs-Maschine gebastelt. Und an jenem Morgen hatte mir Mom, bevor ich zur Schule ging, noch einen heimlichen Wink gegeben: »Du solltest vielleicht besser einen Schirm mitnehmen«, meinte sie mit einem Lächeln, als ob sie mehr wüsste als ich.
Jetzt trat ich aus der Klasse und schloss mich den Massen anderer Schüler an. Ich hörte, wie Regen und Sturm gegen die Außenwände schlugen und innen Hunderte Füße über den Boden trampelten.
Alle schienen ziemlich ruhig, wenn man bedenkt, dass gerade das Ende der Welt bevorstand.
*
Das Wetter war ein einziges Chaos. Der Wind peitschte aus allen Richtungen. Riesige graue Wolken stoben wie wild über uns hinweg. Blitze flackerten am Himmel. Es schien, als ob es gleichzeitig regnete und schneite.
»Verrücktes Wetter, was?«
Ich drehte mich um und sah Milton, meinen besten Freund. Na ja, genau genommen war Milton mein einziger Freund. Ich kannte ihn seit zwei Jahren, seitdem ich mit meinen Eltern in seine Straße gezogen war. Milton war groß und schlaksig, seine Arme und Beine wirkten wie lose am Körper befestigte Stöcke. Und seine blonden Haare standen ständig vom Hinterkopf ab.
»Hast du gehört, was sie heute Morgen im Wetterbericht gesagt haben?«, fragte Milton.
»Ja.« Ich schaute hinauf zu den wirbelnden Wolken. »Sie haben vorhergesagt, dass dieses Unwetter die gesamte Zivilisation, wie wir sie kennen, zerstören wird.«
»Perfektes Timing! Gerade wollte uns Mrs Lange eine Arbeit schreiben lassen und schwupp! müssen wir raus aus unserer Klasse.«
Wir schwiegen, weil plötzlich ein markerschütternder Donner direkt über uns loskrachte.
»Jetzt komm endlich«, sagte ich, als der Donner vorbei war. »Lass uns in den Bus steigen, bevor er ohne uns abfährt.«
Milton und ich stemmten uns gegen den Sturm, bis wir unseren Bus erreicht hatten. Wir setzten uns ganz nach hinten. Während wir dasaßen und warteten, wurde das Unwetter draußen immer schlimmer. Der Wind blies ein Stoppschild an meinem Fenster vorbei, und der Himmel explodierte förmlich vor Blitzen.
Schließlich rumpelte der Bus los. Als ich durch die regennasse Scheibe blickte, sah ich, wie die Bäume im Wind hin und her schwankten und Stromleitungen auseinanderrissen. Wir fuhren an einem Elektronikladen vorbei, in dem sich der Chef mit einem Staubsauger gegen eine Gruppe von Plünderern verteidigen musste.
Am Morgen, bevor das Wetter so mörderisch wurde, war es in Sheepsdale noch ein sonniger Herbsttag gewesen, einer dieser letzten richtig warmen Tage des Jahres. Sheepsdale war eine Kleinstadt im nördlichen Hinterland von New York, eingebettet zwischen einem Fluss und sanften grünen Hügeln. Bis auf die gelegentlich auftauchende Gefahr eines Weltuntergangs war es ein ziemlich unaufregender Ort zum Leben.
Als wir die Innenstadt erreichten, hörte das Unwetter schlagartig auf. Es war, als ob wir unter ein riesiges unsichtbares Dach gefahren wären. Es gab weder Regen noch Sturm. Alles wirkte hier absolut ruhig. Aber außerhalb, rings um die Innenstadt herum, tobte eine graue Wolkenwand. Eine gespenstische Stille hing in der Luft.
Zuerst dachte ich, wir hätten das Auge des Orkans erreicht. Doch dann hielt der Bus plötzlich an, und ich begriff, was los war.
Vor uns über der Kreuzung schwebten nämlich meine Eltern in der Luft. Sie hielten eine Pressekonferenz ab.
*
Es ist immer peinlich, deinen Eltern über den Weg zu laufen, wenn du mit Leuten aus der Schule zusammen bist. Aber besonders peinlich ist es, wenn deine Eltern gerade dabei sind, den ganzen Planeten zu vernichten.
Mom schwebte auf ihrem Flugroller eineinhalb Meter über dem
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