Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arcanum – Das Geheimnis

Arcanum – Das Geheimnis

Titel: Arcanum – Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Geist
Vom Netzwerk:
Sees.
    Nachdem das Gewicht weg war, schwang das Eis elastisch zurück, und lange Risse rasten von einem Ufer ans andere. Herbert und Christopher robbten um ihr Leben, während an vielen Stellen das Wasser heraussprudelte, und ihre nassen Kleider, die durch die Körperwärme eine erträglichere Temperatur erreicht hatten, mit kaltem Nachschub versorgte. Christopher schnappte sich auf dem Rückzug den Koffer, zog sich hoch und schleuderte ihn mit aller Kraft in die Uferböschung. Dann setzten sie ihren Weg fort und retteten sich mit einem Hechtsprung ins Schilf. Sie krochen noch etwas höher auf die Böschung, drehten sich um, setzten sich in den Schnee und blickten keuchend zurück zu dem schwarzen Loch, das gerade eine Leiche in einem hunderttausend Euro Blechsarg verschluckt hatte.
    Jetzt da die Aufregung abebbte, spürten sie die schneidende Kälte der nassen Kleider und Schuhe.
    „Komm, wir müssen zurück zur Autobahn. Wenn uns nicht bald jemand aufliest, sterben wir an Unterkühlung“.
    Christopher zog Herbert hoch, und gemeinsam humpelten sie zurück zur steil abfallenden Fahrbahnböschung. Sie hörten gedämpft ein Auto vorbeirauschen, das man nicht sehen konnte und das sie folglich auch nicht sah.
    „Deine Heldenrettung des Koffers war das Dämlichste, das Du je gemacht hast. Es ist ein Wunder, dass wir noch leben“. Die Erschöpfung dämpfte Christophers Wut.
    „Dafür haben wir aber den Koffer“, grinste Herbert so gut das mit klappernden Zähnen ging.
    Christopher schüttelte ungläubig den Kopf. Wie schlecht konnte er doch seinen langjährigen Freund inzwischen einschätzen, der durch sein Eigenbrödlerdasein in der Tübinger Archäologie mit zunehmendem Alter immer seltsamer wurde. Vielleicht war Todessehnsucht bei ewigen Singles ausgeprägter als bei Familienvätern, die Verantwortung für andere trugen. Aber war er wirklich besser? Welche Verantwortung trug er gerade für seine Familie? Er hatte sie im Stich gelassen für ein fragwürdiges und gefährliches Abenteuer.
    Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Zuerst mussten sie hier weg. Dennoch beschloss er, mehr auf der Hut zu sein in Herberts Nähe, denn das Tauchabenteuer im See hatte schließlich auch ihn fast das Leben gekostet.
    Sie zogen sich gegenseitig den schlüpfrigen Grasabhang hinauf und kletterten über die Leitplanke. Christophers Armbanduhr war wasserdicht und hatte die Strapazen unbeschadet überstanden. Es war zehn Uhr doch so kurz vor Weihnachten gab es kaum Berufsverkehr mehr, und das dichte Schneetreiben hatte wohl viele Autofahrer auf Fahrten verzichten lassen, die nicht unbedingt nötig waren.
    Im Augenblick näherte sich kein Fahrzeug. Es würde ohnehin schwierig sein, eines anzuhalten, da die Sicht nicht mehr als hundert Meter betrug, und der Schnee die Geräusche dämpfte. Zudem sahen sie in ihrem Zustand nicht sehr vertrauenswürdig aus, und mit ihren nassen Hosen würden sie unweigerlich hässliche Flecken auf jedem Sitzpolster hinterlassen.
    Andrerseits war Weihnachten das Fest der Liebe, und damit hatten sie immerhin eine kleine Chance. Sie liefen ein Stück zurück und entdeckten den toten Hirsch am Fahrbahnrand. Etwas war seltsam. Christopher erkannte es nicht sofort, doch bei genauerer Betrachtung wurde es ihm klar. Obwohl das Tier tot war, strahlte es eine unbezwingbare, archaische Kraft aus. Es wirkte nahezu unverletzt, und sein mächtiges Geweih war vollkommen unversehrt. Wo war das Stück abgebrochen, das Heinrich durchbohrt hatte? Christopher verschwendete keinen weiteren Gedanken an diese Ungereimtheit, denn sie hatten weiß Gott andere Probleme.
    Sie hörten, wie sich ein Fahrzeug näherte. Es fuhr langsam. Der Wagen, ein dunkler Van, kam vor ihnen auf der Standspur zum Stehen. Die Schiebetür öffnete sich, und ein Mann winkte sie zu sich.
    „Herr Martinez, Herr Mendelsohn, ich hoffe, sie sind nicht verletzt. Bitte steigen sie ein, hier drin ist es wärmer.“
    Misstrauisch gingen Herbert und Christopher auf den Transporter zu. Die Aussicht auf das warme Wageninnere war verlockend.
    Wer konnte so schnell von ihrem Unfall erfahren haben, und wer kannte ihre Namen? Als Christopher die geöffnete Türe erreichte, machte der Mann, der sie angesprochen hatte, Platz auf der Rückbank und reichte ihm einladend eine graue Wolldecke. In diesem Moment drehte sich der Fahrer zu ihm um. Christopher blieb der Mund offen stehen.
    „Du?“, entfuhr es ihm erstaunt.

15.
     
    Im Keck Observatorium des Mauna Kea

Weitere Kostenlose Bücher