Arcanum – Das Geheimnis
wurde. Schließlich schlitterten sie quer zur Fahrbahn. Die Reifen schoben einen Schneeberg vor sich her, der sich verfestigte und das Gleiten abrupt stoppte. Der Wagen hob sich, flog ein paar Meter durch die Luft und prallte krachend auf das Dach, das nun wiederum ideale Gleiteigenschaften hatte. Christopher sah panisch zu Herbert hinüber, der zum Glück ebenso wie er angeschnallt war und nun in einem schiefen Kopfstand an der Decke klebte.
Wenige Augenblicke später krachten sie gegen die Leitplanke, die kaum Widerstand leistete, um anschließend die steile Böschung hinabzuschlittern. Zu allem Unglück lag genau an dieser Stelle ein Regenauffangbecken, das durch den strengen Frost komplett zugefroren und mit Schnee bedeckt war. Das Fahrzeug rutschte auf die glatte Eisfläche und kam schließlich achtzig Meter vom Ufer entfernt zum Stehen. Das Eis reagierte auf die Belastung mit einem lauten Knacken, brach aber nicht. Christopher war benommen, während Herbert den Kopf mit voller Wucht an den Seitenholm gedonnert, und das Bewusstsein verloren hatte. Er kämpfte die Panik nieder und überlegte fieberhaft, wie sie sich möglichst schnell aus dieser Lage befreien könnten, bevor das Eis brach und der Wagen sie in die eiskalte Tiefe riss.
Niemand auf der Autobahn konnte ihr Verschwinden bemerkt haben. Es war ausgeschlossen, dass ihnen jemand zu Hilfe käme. Die einzige Spur, die sie hinterlassen hatten, war ein unscheinbares Loch in der Leitplanke und ein toter Hirsch, der eventuell noch auf der Fahrbahn lag, doch Christopher war sich da nicht so sicher.
Seine beiden Hände fühlten sich taub an und kribbelten. Er war nicht verletzt, doch der Gurt hatte sich straff um beide Oberarme gelegt und drückte auf den Nervenplexus. Er drehte sich unter Schmerzen nach links und rechts, hing aber hoffnungslos fest. Mit der linken Hand erreichte er den Kühlschrank. Er bekam den Griff der Türe zu fassen und öffnete ihn. Zu seiner Überraschung ging die Innenbeleuchtung sofort an in skurrilem Kontrast zu dem leblosen Schrotthaufen, in den sich das teure Gefährt soeben verwandelt hatte.
Eines der Sektgläser hatte sich aus seiner Verankerung gerissen und war zerbrochen. Nur wenige Zentimeter mehr und er würde eine der großen Scherben erreichen, mit der er den Gurt zerschneiden könnte. Er streckte sich unter Stöhnen und berührte mit den Fingerspitzen das Glas, konnte es aber nicht fassen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen sank er erschöpft zurück in eine bequemere Position, damit das Blut wieder durch die Arme zirkulieren konnte.
Ein weiteres lautes Knacken im Eis unter dem schweren Fahrzeug ließ ihm den Atem stocken. Er rempelte Herbert an, der aber keinen Mucks von sich gab. Auch Schreien und Fluchen half nichts. Er musste sich etwas anderes einfallen lassen. Heinrichs Nahkampfmesser! Ihn schauderte bei dem Gedanken, dem Toten in die Tasche zu greifen.
Heinrich war in erreichbarer Nähe, denn er war immer noch mit dem Kopf an die Kopfstütze genagelt. Das Geweih schien keine Arterie verletzt zu haben, denn es war erstaunlich wenig Blut aus der Wunde ausgetreten. Heinrichs starre Augen blickten glasig durch die geborstene Windschutzscheibe, dorthin, wo der Hirsch mit ihnen kollidiert war. Christopher gab sich einen Ruck. Es ging um ihr Leben, und für Berührungsängste mit dem Toten war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.
Er streckte sich am gut gepolsterten Himmel des Daimlers nach vorne, griff widerstrebend über den Kopf Heinrichs und in die Innentasche seines Jacketts.
Da war das Springmesser! Es war trotz des Kopfstands seines Besitzers nicht aus der Tasche gerutscht. Er drückte auf den Auslöser und die scharfe Klinge fuhr heraus. Er stach wild auf seinen Sicherheitsgurt ein, fluchte und schimpfte, bis das zerfetzte schwarze Nylongewebe nachgab. Nun krabbelte er zu Herbert hinüber und schnitt auch ihn los. Die Seitenscheiben waren unbeschädigt geblieben, und die Türen ließen sich nicht öffnen. Der Ort des geringsten Widerstandes war die geborstene Windschutzscheibe.
Christopher zog Herbert mit nach vorne. Mit einem kräftigen Tritt drückte er die Scheibe nach draußen. Er krabbelte hinaus in die beißende Kälte auf die glatte Eisfläche.
Dann legte er sich flach auf den Bauch, um sein Gewicht gleichmäßig zu verteilen.
„Unsinn“, dachte er. Wenn der Wagen nicht einbrach, dann würde das Eis auch ihn halten. Ein weiteres lautes Knacken schien seine Gedanken Lügen zu strafen. Er zuckte
Weitere Kostenlose Bücher