Archer Jeffrey
würde.
Doch er rief schon am nächsten Tag an und erkundigte sich, wie es ihr ging.
»Ich fühle mich sehr einsam und habe ein schlechtes Gewissen, weil du mir mehr fehlst, als es derzeit schicklich für mich ist.« Sie hielt kurz inne. »Wann kommst du wieder nach Jersey?«
»Nicht so bald. Vergiss nicht, du hast selbst gesagt, dass in Jersey sogar die Wände Ohren und Augen haben.«
»Aber was soll ich tun? Die Jungs sind im Internat, und du bist in London.«
»Wie wär’s, wenn du zu mir in die Stadt kommst? Es ist hier viel einfacher unterzutauchen, und in London kennt dich ja auch niemand.«
»Vielleicht hast du Recht. Lass mich darüber nachdenken, dann geb ich dir Bescheid.«
Eine Woche später war Ruth auf dem Weg nach London. Max holte sie vom Flughafen ab und brachte sie in ein kleines Hotel in Mayfair. Sie war gerührt, wie rücksichtsvoll und sanft er war, und dass er sich nicht beklagte, wenn sie kaum redete – von Sex ganz zu schweigen.
Als er sie am Montag zum Flughafen zurückbrachte, schmiegte sie sich an ihn.
»Jetzt habe ich nicht mal deine Wohnung oder dein Büro gesehen«, sagte sie leise.
»Es war sehr vernünftig, dass du diesmal in einem Hotel geschlafen hast. Mein Büro kannst du dir bei deinem nächsten Besuch immer noch anschauen.«
Sie lächelte zum ersten Mal seit der Beerdigung. Als sie sich im Terminal verabschiedeten, nahm er sie in die Arme und sagte: »Ich weiß, dass es noch zu früh ist, darüber zu reden, mein Liebling, aber du sollst wissen, wie sehr ich dich liebe. Ich hoffe, du wirst mich eines Tages als würdig erachten, Angus’ Platz einzunehmen.«
Auf dem Rückflug nach Saint Helier an diesem Abend gingen ihr seine Worte immer wieder durch den Kopf wie der Refrain eines Liedes.
Ungefähr eine Woche später erhielt Ruth einen Anruf von Mr. Craddock, dem Familienanwalt, der sie bat, ihn aufzusuchen, damit er sie mit dem letzten Willen ihres verstorbenen Gatten vertraut machen könne. Sie vereinbarten einen Termin gleich für den nächsten Morgen.
Da sie finanziell immer recht gut gestellt waren und sich einen hohen Lebensstandard leisten konnten, nahm Ruth an, dass sich daran kaum etwas ändern würde. Bestimmt hatte Angus Vorkehrungen getroffen, dass es seiner Familie nach seinem Ableben an nichts fehlte. Ruth erinnerte sich an seinen ausdrücklichen Wunsch, Mr. Craddock möge ihn im Krankenhaus besuchen.
Ruth hatte nie Interesse an Angus’ geschäftlichen Angelegenheiten gezeigt. Er war zwar immer sparsam mit seinem Geld umgegangen, doch wenn sie etwas wollte, hatte er es ihr nie abgeschlagen. Wie auch immer, Max hatte eben erst einen Scheck über 100.000 Pfund auf Angus’ Konto eingezahlt. So begab sich Ruth am nächsten Morgen voll Zuversicht zum Notariat, dass Angus ihr genügend Mittel hinterlassen hatte, ihren bisherigen Lebensstandard beibehalten zu können.
Sie traf ein paar Minuten zu früh ein. Trotzdem führte die Sekretärin sie sofort zum Büro des Seniorpartners. Beim Eintreten sah sie drei Männer um einen Tisch sitzen, die sich bei ihrem Anblick sofort erhoben. Mr. Craddock stellte sie als seine Partner vor. Ruth nahm an, dass sie gekommen waren, um ihr zu kondolieren. Sie blieben jedoch sitzen und studierten die dicken Akten, die vor ihnen lagen. Zum ersten Mal erwachte in Ruth ein Gefühl der Besorgnis. Mit Angus’ Nachlass war doch bestimmt alles in Ordnung …?
Der Seniorpartner nahm am Kopfende des Tisches Platz, knüpfte ein umfangreiches Bündel Akten auf und zog ein auf dickem Pergament geschriebenes Dokument heraus. Dann blickte er die Frau seines verstorbenen Mandanten an.
»Lassen Sie mich Ihnen als Erstes im Namen unserer Kanzlei versichern, wie betroffen wir waren, als wir von Mr. Hendersons Ableben erfuhren«, begann er.
»Danke.« Ruth senkte den Kopf.
»Wir haben Sie gebeten, hierher zu kommen, damit wir Ihnen die Einzelheiten des letzten Willens Ihres verstorbenen Mannes erläutern können. Anschließend werden wir Ihnen gern alle Fragen beantworten.«
Ruth lief ein kalter Schauer über den Rücken, und sie fing zu zittern an. Warum hatte Angus sie nicht darauf aufmerksam gemacht, dass sich Probleme ergeben mochten?
Der Notar las die Präambel und kam schließlich zu den Verfügungen.
»Ich hinterlasse meinen gesamten weltlichen Besitz meiner Ehefrau Ruth, mit folgender Ausnahme:
a) 200 Pfund für jeden meiner beiden Söhne, Nicholas und Ben. Ich möchte, dass sie dieses Geld für irgendetwas zu meinem Angedenken ausgeben.
b) 500 Pfund
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