Archer Jeffrey
seines Vaters und vermachte das Erbstück wiederum seinem Erstgeborenen, und wiederum mit der Verpflichtung, es an dessen Erstgeborenen weiterzugeben und nur dann zu veräußern, wenn die Familienehre auf dem Spiel stünde. Oberst James Heathcote, Inhaber des Military Cross, starb nicht den Heldentod; er schlief eines Abends, am Kamin sitzend, sanft hinüber, die Yorkshire Post auf den Knien.
Alexander Heathcote, der älteste Sohn des Oberst, war Geistlicher und stand als solcher der kleinen Gemeinde von Much Hadam in der Grafschaft Hertfordshire vor. Nachdem er seinen Vater mit allen militärischen Ehren beigesetzt hatte, stellte er den Kaiser auf den Kaminsims im Pfarrhaus; aber nur wenige seiner Schäflein wußten mit dem Chinesen etwas anzufangen, von einigen älteren Damen abgesehen, die die feine Schnitzereiarbeit bewunderten. Erst als der Pfarrer zum Bischof avanciert war und der Kaiser im bischöflichen Palais vor die Öffentlichkeit treten durfte, erfuhr er wieder die ihm gebührende Bewunderung. Die Geschichte, wie der Großvater des Bischofs in den Besitz der wertvollen Figur gekommen war, und wie der Sockel eigentlich nicht recht dazupaßte, ergab zudem immer wieder ein anregendes Tischgespräch.
Gott ruft selbst seine irdischen Vertreter, wenn deren Zeit abgelaufen ist, zu sich; das galt auch für Bischof Heathcote. Der aber hatte zuvor gewissenhaft in seinem Testament alle Verfügungen bezüglich des kleinen Kaisers getroffen, die sein Vater ihm einst aufgetragen hatte.
Der Sohn des Bischofs, Hauptmann James Heathcote, diente in demselben Regiment wie sein Großvater, und die MingStatue kehrte in die Offiziersmesse nach Halifax zurück. Während des kleinen Kaisers Abwesenheit hatte sich die Trophäensammlung des Regiments um die Siegestrophäen von Ypres, Marne und Verdun vermehrt. Wieder einmal war das Regiment in einem Krieg gegen Deutschland eingesetzt, und der junge Hauptmann Heathcote fiel bei der Landung in Dünkirchen – ohne ein Testament zu hinterlassen. Da der Wunsch seines Urgroßvaters allgemein bekannt war, bestand nach englischem Recht kein Zweifel daran, daß die Statue in den Besitz seines zweijährigen Sohnes überzugehen hatte.
Alexander Heathcote war leider nicht aus demselben Holz geschnitzt wie seine Vorfahren und entwickelte im Laufe der Jahre keinerlei Verlangen, irgend jemandem anderen als sich selbst zu dienen. Nach dem tragischen Tod seines Vaters las ihm die Mutter jeden Wunsch von den Augen ab und überschüttete ihn – soweit es ihre karge Witwenpension zuließ
– mit allerlei Geschenken. Sie erntete wenig Dank dafür; doch es war nicht die Schuld des Knaben allein, daß er sich – nach den Worten seiner Großmutter – zu einem selbstsüchtigen und unausstehlichen Bengel entwickelte. Er verließ die Schule kurz vor seinem Hinauswurf und versuchte es in diesem und jenem Job, aber er hielt es nirgendwo länger als ein paar Wochen aus. Auch gab er gern mehr Geld aus, als er oder seine Mutter sich leisten konnten. Als Mrs. Heathcote dieses Leben nicht länger ertragen konnte, schied sie kurzerhand aus demselben.
In den flotten sechziger Jahren kamen in England die Spielkasinos in Mode, und Jung-Alex war überzeugt, hierin endlich ein arbeitsloses Einkommen gefunden zu haben. Er entwickelte ein System, nach welchem man im Roulette nur gewinnen konnte. Dennoch verlor er, verbesserte sein System
– und verlor wieder. Er baute das System daraufhin weiter aus, was dazu führte, daß er Geld leihen mußte, um seine Spielschulden zu begleichen. Warum auch nicht? Wenn alle Stricke rissen, konnte er immer noch auf den Ming-Kaiser zurückgreifen. Und in der Tat – alle Stricke rissen.
Eines schönen Montagmorgens erhielt Alex den Besuch zweier Herren, die fest entschlossen schienen, achttausend Pfund von ihm einzuheben; die Sache müsse innerhalb von vierzehn Tagen in Ordnung gebracht sein, widrigenfalls…
Da gab Alex auf. Schließlich hieß es unmißverständlich im Testament seines Ur-Urgroßvaters: wenn die Ehre der Familie auf dem Spiel stand, sollte die Ming-Statue verkauft werden.
Alex holte den kleinen Kaiser vom Kaminsims, warf einen kurzen Blick auf die kostbare Figur, und hatte immerhin so viel Anstand, ein wenig Trauer dabei zu empfinden. Dann trug er das Erbstück zum Auktionshaus Sotheby und gab Auftrag, die Statue ehebaldigst unter den Hammer zu bringen.
Der Leiter der Orient-Abteilung, ein blasser, magerer Mann, nicht unähnlich der Statue, die er
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