Archer Jeffrey
notwendigen Untersuchungen durchführen konnte. Doch nicht einmal sein Fachwissen, die Hingabe seines Personals oder die neueste medizinische Ausrüstung konnten das Frühchen retten. Kenneth Greenwood erinnerte sich, wie er als junger Arzt einem ähnlichen Problem gegenübergestanden war, als er Ruth auf die Welt geholfen hatte. Eine Woche lang hatte die Krankenhausbelegschaft nicht geglaubt, dass das kleine Mädchen überleben würde. Und nun machte die Familie fünfunddreißig Jahre später dasselbe Trauma noch einmal durch.
Dr. Greenwood beschloss, mit Mr Davenport unter vier Augen zu reden. Er schlug ihm vor, dass womöglich die Zeit gekommen war, über eine Adoption nachzudenken. Robert stimmte widerstrebend zu und meinte, er würde das Thema bei seiner Frau anschneiden, sobald sie seiner Meinung nach stark genug dafür war.
Es verging ein Jahr, bevor sich Ruth damit einverstanden erklärte, eine Adoptionsagentur aufzusuchen. Prompt trat einer jener Zufälle ein, mit denen das Schicksal gern spielt, über die Romanschreiber aber nicht einmal nachdenken dürfen: Ruth wurde just an dem Tag schwanger, als der Besuch im örtlichen Waisenhaus anstand. Dieses Mal war Robert fest entschlossen, dass sein Kind nicht aufgrund menschlichen Versagens daran gehindert würde, diese Welt zu betreten.
Ruth folgte dem Rat ihres Gatten und legte ihr Amt als Vorsitzende der Krankenhausstiftung nieder. Sie war sogar damit einverstanden, dass eine Vollzeit-Krankenschwester eingestellt wurde, die – so drückte Robert es aus – ein wachsames Auge auf sie haben sollte. Mr Davenport sprach mit mehreren Bewerberinnen und traf eine Vorauswahl jener Frauen, die seiner Ansicht nach die nötigen Qualifikationen mitbrachten. Seine endgültige Entscheidung würde letztlich davon abhängen, ob er davon überzeugt war, dass die Anwärterin willensstark genug war, um sicherzustellen, dass Ruth ihr Versprechen, es ›locker anzugehen‹, auch hielt, und die dafür sorgte, dass Ruth nicht in alte Gewohnheiten verfiel und alles organisieren wollte, was ihren Weg kreuzte.
Nach der dritten Runde an Vorstellungsgesprächen entschied sich Robert für eine Miss Heather Nichol, leitende Krankenschwester der Entbindungsstation von St Patrick. Ihm gefiel ihre nüchterne Art und die Tatsache, dass sie weder verheiratet war noch mit einem Aussehen gesegnet, durch das sich dieser Umstand in absehbarer Zukunft ändern würde. Den endgültigen Ausschlag gab jedoch die Tatsache, dass Miss Nichol bereits über eintausend Kindern in diese Welt geholfen hatte.
Robert war begeistert, wie schnell sich Miss Nichol in den Haushalt einfügte, und mit jedem Monat, der verstrich, wurde er zuversichtlicher, dass sie nicht zum dritten Mal dasselbe Problem haben würden. Als Ruth die ersten fünf, sechs und dann sieben Monate ohne Vorfälle überstand, kam Robert sogar auf mögliche Vornamen zu sprechen: Fletcher Andrew, wenn es ein Junge wurde, Victoria Grace bei einem Mädchen. Ruth hatte nur einen Wunsch: Wenn es ein Junge würde, sollte er Andrew gerufen werden, aber im Grunde erhoffte sie nicht mehr als die Geburt eines gesunden Kindes.
Robert nahm in New York an einem Ärztekongress teil, als ihn Miss Nichol telefonisch aus einem Seminar rief, um ihm mitzuteilen, dass bei seiner Frau die Wehen eingesetzt hätten. Er versicherte ihr, dass er unverzüglich mit dem Zug zurückfahren und mit dem Taxi direkt ins St Patrick kommen werde.
Dr. Greenwood verließ gerade das Gebäude, nachdem er die Cartwright-Zwillinge erfolgreich zur Welt gebracht hatte, als er Ruth Davenport sah, die in Begleitung von Miss Nichol durch die Schwingtüren trat. Er drehte sich um und holte die beiden Damen ein, bevor sich die Aufzugstüren schlossen.
Sobald er seine Patientin in einem Privatzimmer untergebracht hatte, sammelte Dr. Greenwood rasch die besten Gynäkologen um sich, die das Krankenhaus aufzubieten hatte. Wäre Mrs Davenport eine normale Patientin gewesen, hätten er und Miss Nichol das Kind ohne zusätzliche Hilfe zur Welt bringen können. Doch nach kurzer Untersuchung wurde ihm klar, dass Ruth einen Kaiserschnitt benötigen würde, wenn das Kind sicher auf die Welt kommen sollte. Er sah zur Decke hoch und sprach ein stummes Gebet. Ihm war überdeutlich bewusst, dass dies ihre letzte Chance sein würde.
Die Geburt dauerte nur etwas über vierzig Minuten. Beim ersten Blick auf den Kopf des Babys seufzte Miss Nichol erlöst auf, aber erst als der Arzt die Nabelschnur
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