Archer Jeffrey
hinunter, durch Andover weiter in Richtung London. Da um diese Tageszeit der Verkehr im Londoner Umkreis hauptsächlich stadtauswärts nach Westen floß, brauchte er für den Rückweg zur Wohnung in der Ifield Road relativ wenig Zeit.
Adam hatte sich entschlossen, den Briefumschlag erst in der Abgeschiedenheit seines Zimmers zu öffnen. So aufregend war sein Leben in letzter Zeit nicht gewesen, um auf einen kleinen feierlichen Akt zu verzichten. Und er hatte schließlich gewissermaßen den größten Teil seines Lebens darauf gewartet, das Geheimnis des Briefumschlags zu erfahren, den er nun geerbt hatte.
Die Geschichte der Familientragödie hatte Adam von seinem Vater oft genug gehört – »Es geht eben darum, ob du ein Mann von Ehre bist oder nicht«, hatte er jedesmal zum Schluß gesagt und das Kinn vorgereckt und die Schultern gestrafft. Ihm hatten fast sein ganzes Leben lang verächtliche Bemerkungen von Männern, die ihm nicht das Wasser reichen konnten, und Seitenblicke von Offizieren gegolten, die sorgsamst darauf bedacht waren, möglichst selten mit ihm zusammen gesehen zu werden. Miese Kerle mit miesem Charakter: Adam hatte seinen Vater viel zu gut gekannt, um es für möglich zu halten, daß an dem Verdacht des ungeheuerlichen Verrats, von dem gemunkelt wurde, auch nur das Geringste dran sein konnte. Adam fühlte mit einer Hand nach dem Brief in der Innentasche seiner Jacke – wie ein kleiner Junge, der am Tag vorm Geburtstag das Päckchen abtastet, um an der Form den Inhalt des Geschenks zu erraten. Was immer in dem Umschlag stecken mochte – Adam war fest überzeugt, daß es jetzt nach Vaters Tod niemand etwas bringen würde, aber deswegen ließ seine Neugierde nicht nach.
Was er im Lauf der Jahre an genauen Tatsachen erfahren hatte, war wenig genug: Ein Jahr vor seinem fünfzigsten Geburtstag hatte Vater 1946 seinen Abschied eingereicht. Die Times hatte Pa als brillanten Taktiker gewürdigt, der im Krieg höchste Tapferkeit bewiesen habe: Sein Abschied sei eine persönliche Entscheidung, die den Korrespondenten der Times überrascht, seine nächsten Angehörigen erstaunt, sein Regiment schockiert hatte; alle, die ihn kannten, hatten erwartet, daß er innerhalb weniger Monate zum General befördert worden wäre.
Weil der Colonel sein Regiment so plötzlich und ohne Erklärung verlassen hatte, kamen bald Geschichten auf, die absonderlichsten Gerüchte schössen ins Kraut. Der Colonel erklärte auf Fragen lediglich, er habe genug vom Krieg, es sei an der Zeit, endlich mal, bevor es zu spät sei, Geld zu verdienen, damit seine Frau und er für den Lebensabend versorgt seien. Damals schon stießen solche Aussagen meist auf Skepsis; und ihre Glaubwürdigkeit wurde nicht eben dadurch erhärtet, daß der Colonel es nur zum Geschäftsführer des lokalen Golfclubs und sonst zu nichts brachte.
Nur dank der Großzügigkeit seines inzwischen verstorbenen Großvaters, des Generals Sir Pelham Westlake, hatte Adam auf dem berühmten Internat Wellington College bleiben und der Familientradition entsprechend eine militärische Laufbahn einschlagen können.
Nach erfolgreichem Schulabschluß bekam Adam einen Platz an der Königlichen Militärakademie in Sandhurst, wo er sich mit großem Fleiß dem Studium der Militärgeschichte, Taktik und Strategie widmete. An den Wochenenden stürzte er sich in den Sport – auf Rugby und Squash; am erfolgreichsten war er allerdings bei diversen Rennwettkämpfen querfeldein. Zwei Jahre lang sahen die keuchenden Kadetten von Cromwell und Dartmouth ihn immer nur lehmbespritzt von hinten; Adam wurde am Ende sogar Sieger bei den Militärmeisterschaften in dieser Disziplin. Er wurde auch Sieger im Mittelgewicht, obwohl ihm in der ersten Runde des Finales ein nigerianischer Kadett das Nasenbein brach; der Nigerianer machte nur den Fehler, den Boxkampf danach bereits für gewonnen zu halten.
Adam verließ Sandhurst 1956 als neuntbester Absolvent, wurde aber – was niemand überraschte – wegen seiner Führungseigenschaften und seines vorbildlichen Verhaltens außerhalb des Hörsaals mit dem Sword of Honour ausgezeichnet. Von dem Zeitpunkt an war Adam fest überzeugt, daß er in die Fußstapfen seines Vaters treten und eines Tages das Kommando des Regiments übernehmen würde.
Das Royal-Wessex-Regiment nahm den Sohn seines früheren Chefs auf, sobald er das Offizierspatent erhalten hatte. Von den Soldaten wurde Adam bald hoch geschätzt; bei den Offizieren, die sich nicht um Gerüchte
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