Archer Jeffrey
Ikone versteckt gewesen war. Zaborski stand schweigend da; das triumphierende Lächeln
auf Breschnews Gesicht entging ihm.
»Na, endlich ist der Groschen gefallen. Wissen Sie, Genosse,
das Dokument war tatsächlich die ganze Zeit über in der Ikone
verborgen; nur hatten wir die falsche Ikone.«
Der russische Parteichef wartete ein Weilchen, bevor er sich
umdrehte und seinem Kollegen ein Blatt Papier reichte. »Das
ist die schriftliche Aussage des Zaren, in der er angibt, was wir in der Ikone vom heiligen Georg mit dem Drachen finden würden. Es wurde aber in der Ikone damals nichts gefunden –, woraus Lenin folgerte, daß es sich nur um einen lächerlichen Bluff des Zaren handelte, um seine Familie vor der Hinrichtung
zu retten.«
Zaborski las mit Bedacht die handgeschriebene Aussage
durch, die der Zar wenige Stunden vor seiner Hinrichtung
unterzeichnet hatte. Seine Hände begannen zu zittern, auf
seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen, lange bevor er den
letzten Absatz erreichte. Er sah zu dem kleinen Gemälde
hinüber, das, kaum größer als ein Buch, noch immer mitten auf
dem Schreibtisch des Parteichefs lag.
»Seit Lenins Tod«, fuhr Breschnew fort, »hat niemand der
Behauptung des Zaren Glauben geschenkt. Heute aber bestehen
kaum noch Zweifel, daß wir, falls wir das Original des Kunstwerks aufspüren können, auch in den Besitz des versprochenen
Dokuments gelangen.«
»Und angesichts der Autorität derer, die es unterzeichnet
haben, könnte niemand unseren rechtmäßigen Anspruch in
Frage stellen«, sagte Zaborski.
»So ist es, Genosse Vorsitzender«, antwortete Breschnew.
»Ich bin zuversichtlich, daß wir die Vereinten Nationen und
den Internationalen Gerichtshof auf unserer Seite hätten,
sollten die Amerikaner uns unser Recht bestreiten wollen. Ich
fürchte nur eins – daß die Zeit gegen uns arbeitet.«
»Wieso?« fragte der Vorsitzende des Staatssicherheitsdienstes.
»Werfen Sie doch mal einen Blick auf das Ablaufdatum in
der Erklärung des Zaren. Dann werden Sie verstehen, wie
wenig Zeit uns bleibt, unseren Teil des Abkommens zu
erfüllen«, sagte Breschnew.
Zaborski blickte auf das Datum, das in der Handschrift des
Zaren hingekritzelt war: 20. Juni 1966. Er reichte Breschnew das Schriftstück zurück, während ihm die Ungeheuerlichkeit der Aufgabe bewußt wurde, die ihm sein Vorgesetzter gestellt
hatte.
Leonid Iljitsch Breschnew setzte seinen Monolog fort. »Wie
Sie also erkennen, Genosse Zaborski, bleibt uns bis zu dem
Stichtag nur ein Monat. Wenn es Ihnen jedoch gelänge
festzustellen, wo die Ikone geblieben ist, könnten wir Präsident
Johnsons gesamte Verteidigungsstrategie mit einem Schlag
durchkreuzen. Dann wären die Vereinigten Staaten nur noch
ein Bauer auf dem russischen Schachbrett.«
2
APPLESHAW, ENGLAND Juni 1966
»Und meinem geliebten einzigen Sohn, Captain Adam Scott, MC, vermache ich den Betrag von fünfhundert Pfund.«
Adam hatte mit einer armseligen Erbschaft gerechnet und blieb kerzengerade sitzen, als der Anwalt über seine Lesebrille hinweg in die Runde blickte.
Der alte Advokat hinter dem riesigen Schreibtisch der Kanzlei hob den Kopf und blinzelte dem gutaussehenden jungen Mann vor ihm zu. Das machte Adam ganz nervös; er fuhr sich durch sein dichtes, schwarzes Haar. Aber Mr. Holbrookes Blick war bereits wieder zu den Papieren zurückgewandert, die vor ihm lagen.
»Und meiner geliebten Tochter Margaret Scott vermache ich den Betrag von vierhundert Pfund.« Ein leichtes Grinsen konnte Adam da nicht zurückhalten. Bis in die kleinsten Details seines letzten Willens war Vater Chauvinist geblieben.
»Dem Hampshire Country Club«, leierte Mr. Holbrooke weiter, ohne sich durch Miss Scotts relative Benachteiligung im mindesten beeindruckt zu zeigen, »fünfundzwanzig Pfund für die Mitgliedschaft auf Lebenszeit.« Endlich bezahlt, dachte Adam.
»Dem Verein Old Contemtibles fünfzehn Pfund. Und der Pfarrkirche von Appleshaw zehn Pfund.« Für die Mitgliedschaft auf Ewigkeit, dachte Adam. »Wilf Proudfoot, unserem treuen Halbtags-Gärtner, zehn Pfund; und Mrs. Mavis Cox, unserer Haushaltshilfe, fünf Pfund. Meiner geliebten Frau Susan schließlich vermache ich unser Haus und den Rest des Vermögens.«
Bei dem Satz hätte Adam am liebsten laut aufgelacht: Selbst wenn die Aktienpapiere und die Golfschläger aus der Vorkriegszeit verkauft würden, das restliche Vermögen des Vaters würde kaum mehr als nochmals tausend Pfund ausmachen.
Aber Mutter war durch und durch
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