Argemí, Raúl
die Röntgenbilder im Gegenlicht der Deckenleuchten betrachtete.
Ein paar lädierte Rippen, der Rest war nicht der Rede wert. Wahrscheinlich würde es keine Probleme geben, doch er runzelte die Stirn, während er sie erneut betrachtete und sich erwartungsvolle Stille ausbreitete. Er spürte, wie die Frau den Atem anhielt; dem Mann rann ein Tropfen kalter Schweiß über den Rücken, während er blinzelnd versuchte, seine Pose zu interpretieren. Er war der Erste, dem das Warten zu lang wurde.
»Ich bin gefahren, Doktor, und es war grün.«
»Und?«
»Ich weiß nicht genau, ich kann mich nicht erinnern … Ich war dabei, Salami auszufahren, wissen Sie?«
»Halt den Mund, Jose«, herrschte ihn die Frau an. »Die anderen sind schuld, und sie werden dafür bezahlen; bis auf den letzten Peso.«
Gómez drückte leicht auf den Verband, und der Mann hielt den Atem an, als er den Schmerz spürte.
»Wissen Sie, es war, als wäre der Lastwagen vom Himmel gefallen …«
»Bestimmt hat kein Engel am Steuer gesessen«, bemerkte Gómez mit einem beruhigenden Lächeln. Der andere brachte nur ein gequältes Grinsen zustande.
»Wer hat die Röntgenaufnahmen von Ihrem Mann gemacht?«
»Das ist nicht mein Mann. Ich bin Witwe, er ist mein Bruder. Und wer sind Sie, wenn man fragen darf?«
»Gómez, Doktor Gómez, Versicherungsgutachter; ich entscheide über die Entschädigung.«
»Entschuldigen Sie bitte, wenn ich so direkt bin. Wir sind nämlich Fleischer und keine Doktoren«, bemerkte d ie Frau so säuerlich, dass man nicht wissen konnte, ob ihre Bemerkung ironisch gemeint war oder ob sie schlicht Auskunft gab. »Auf welcher Seite stehen Sie?«
»Das hängt ganz von Ihrem Entgegenkommen ab.«
»Verstehe«, sagte sie und lächelte bitter, als sie begriff, was damit gemeint war.
Gómez bemerkte, dass unter dem Lächeln die Schichten von Puder, die ihr Gesicht wie eine chinesische Maske bedeckten, zu zerbröckeln drohten, und er war versucht, einen Schritt zurückzutreten, um nicht in dem Staub zu ersticken.
»Sie helfen uns, und wir haben alle etwas davon. Nicht wahr, Doktor?«
»So ähnlich. Sagen Sie mir jetzt, wer die Röntgenaufnahmen gemacht hat?«
»Selbstverständlich, Doktor. Das war hier, in der Notaufnahme, als sie ihn hergebracht haben.«
»Gut. Ich sage Ihnen, was wir machen. Wir brauchen neue Röntgenaufnahmen. Sie wissen schon, aus einem anderen Winkel, dann zahlt die Versicherung, ohne Mätzchen zu machen. Aber das macht der Radiologe nicht umsonst …«, sagte er und hielt den Umschlag mit den Röntgenaufnahmen wie eine Spardose vor seinen Körper.
Die Frau war bereit, in die Falle zu tappen, und während sie nach dem Portemonnaie griff, dachte Gómez an das, was in den Salamis war, die der Bruder ausfuhr. Darüber konnte man zum Vegetarier werden, erst recht, als er sah, wie sie sich, die Hand auf dem geheimnisvollen Portemonnaie, nach vorn beugte, als würde sie gleich wie in einem Westernduell eine Waffe ziehen.
»Wie viel?«
»Mit hundert dürfte die Sache geritzt sein. Aber wenn es nicht geht …«
Die Faust öffnete sich rasch und ließ eine Handvoll Scheine in den Umschlag fallen.
»Ich will Ergebnisse, verstanden?«, zischte die Frau leise.
Gómez steckte die Röntgenaufnahmen zu den Geldscheinen, als wolle er den Vorgang unbedingt kaschieren.
»Haben Sie ein wenig Geduld. Sie warten hier auf mich, und ich gehe zum Radiologen. Ich bin gleich zurück. Ihr Bruder soll sich nicht aufregen und am besten ein bisschen schlafen; vor dem Schichtwechsel machen wir von ihm ein paar neue Aufnahmen.«
»Keine Sorge, Doktor«, stammelte der Kranke mit einem halb komplizenhaften, halb idiotischen Lächeln.
Gómez ging zum Ausgang; er bedauerte es, nicht mehr Zeit für die Fleischer gehabt zu haben. Sie gehörten zu denen, die sich im Schlaf ausrauben ließen.
Kurz bevor er den Krankensaal verließ, gewann seine Sorglosigkeit Oberhand, und er verlangsamte seinen Schritt. Der Wandschirm, hinter dem der Sterbende lag, war eine zu große Versuchung. Außerdem waren keine Krankenschwestern in Sicht.
Ein wohliger Schauer lief ihm über den Rücken, als er, ohne lange zu zögern, den Umschlag mit den Röntgenaufnahmen auf das Nachbarbett legte, die Alte, die den Rosenkranz betete, ins Auge fasste und auf sie zuging.
Es waren nur wenige Schritte, doch eine sichtbare Wandlung ließ seine Schultern nach vorn fallen und seine Hände vor den Körper wandern.
Diese Hände drückten den eigentlichen Wandel aus.
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