Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Argemí, Raúl

Argemí, Raúl

Titel: Argemí, Raúl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chamäleon Cacho
Vom Netzwerk:
ich vor lauter übermenschlicher Anstrengung, die einzelnen Teile zusammenzufügen, beinahe ohnmächtig wurde; ich schloss die Augen. Wenn ich etwas sagen oder Schwäche zeigen würde, würden die Dicken mir bestimmt irgendeine Schweinerei spritzen, und ich würde die wenige kostbare Zeit verlieren, die mir noch blieb.
    »Ich muss meine Sinne beisammenhalten, auch wenn’s unangenehm ist«, sagte ich mir.
    Aber ich konnte mich nicht unsichtbar machen. Ich konnte es nicht verhindern. Eine der beiden trat an mein Bett und injizierte auf eine Weise etwas in den Tropf, als wollte sie mich bestrafen; dann senkten sie die Stimmen und verließen flüsternd den Raum.
    Es war, als hätte jemand einen Vorhang heruntergelassen. Gegen meinen Willen und obwohl ich mir immer wieder sagte, dass das Chamäleon mein Gefangener sei – ein Gefangener, nach dem niemand fragt und der mir erzählt, was ich wissen möchte, selbst wenn ich mich zu seinem Bett schleppen und mit den Zähnen dafür sorgen müsste, dass er seine Hosen herunterlässt –, fiel ich in einen dunklen Brunnen, stürzte schwindelnd in ein tiefes, finsteres Loch.
    Mit dem Gefühl, in einem Strudel zu schwimmen, kehrte ich in die Wirklichkeit zurück und musste feststellen, dass man einen Wandschirm aufgestellt hatte, der das Bett des Chamäleons verdeckte. Meine schlimmsten Befürchtungen waren wahr geworden. Diese Sichtblenden gegen die Neugier fremder Blicke haben stets dasselbe zu bedeuten, nämlich dass die Person im verborgenen Bett sterben wird.
    Wie ich geahnt hatte, wurde der Dialog mit dem Chamäleon außerordentlich erschwert. Es war, als würde der Wandschirm, diese Kapuze auf Rädern, das Gespräch zäh und langsam machen.
    Noch nie hatte ich mich so ohnmächtig gefühlt. Noch nie hatte so plötzlich ein nervöses Tier in meinen Eingeweiden zu rumoren angefangen. Das Chamäleon starb mit dem Einverständnis der Medizin, und ich hatte gerade mal eine Handvoll Einzelteile.
    Verzweiflung packte mich, ich versuchte, den Faden wieder aufzunehmen, und irgendwie gelang es mir, den Kontakt wiederherzustellen.
    Gott wollte das Wunder nicht vollbringen, ihn mit Siebenmeilenschritten den Berg hinabzuschicken, als er den Rauch aus den Häusern aufsteigen sah. Doch er versuchte, es zu verstehen, und bat ihn darum, mit der Bestrafung aufzuhören. Dafür war er, Prudencio Márquez, ja der Laienprediger seiner Leute.
    Luisa, seine Frau, die David an der Brust hatte, weinte bereits nicht mehr, ebenfalls Graciana, seine Schwägerin, die ihre Kinder und Neffen und Nichten um sich scharte.
    Die Kinder waren völlig verstört, und er musste sie anschreien, da es ihm mit Gesten allein nicht gelang, sie zu seiner Schwägerin zu scheuchen.
    Es war nicht gut, dass sie die erlöschende Glut sahen, die verkohlten Überreste der Holzbalken, der Kleider, der Wolle und des Leders; und dazu der Gestank nach verbranntem Fleisch, der von der Farm aufstieg. Von dem, was von der Farm übrig war.
    »Ein paar Balken und der Dachfirst, der jeden Moment einstürzen kann«, sagte er laut, um seine Lähmung abzuschütteln.
    Prudencio Márquez verlagerte sein Körpergewicht auf das andere Bein, das eingeschlafen war, weil er die ganze Zeit auf derselben Stelle gestanden, vor sich hingestarrt und nachgedacht hatte.
    Die Erwachsenen der Márquez-Sippe, die Männer, die hätten helfen können, waren wahrscheinlich mit einem Teil ihrer Rinderherde im Reservat Ruca Choroy. Er musste sich um die anderen kümmern; die Alten, Frauen und Kinder.
    Er konnte sich nicht einmal an einer Flasche festhalten, die einzige Möglichkeit für ihn, sich Luft zu machen, war, sich die Lunge aus dem Hals zu schreien, wenn ihm der Schmerz die Luft nahm.
    »Prudencio …«, Luisa, die neben ihm stand, sprach ihn an, »sei froh, wir hatten Glück. Ich habe David rechtzeitig aus der Wiege geholt, denn wenn nicht … Gott hat uns beigestanden.«
    »Gott hat uns beigestanden …«
    Ein Windstoß wirbelte eine Staubwolke auf und trieb sie über den Weg, bis sie sich zwischen den Scheinbuchen auflöste. Auf dem Hügel auf der anderen Flussseite umkreisten die Hunde die Ziegenherde. Diese brauchten keine Farm und hatten auch keine Familie am Hals. Auch die Gewissensbisse eines Sünders kannten sie nicht oder den Hochmut, auf ein Zeichen zu hoffen.
    »Wir gehen zu Graciana.«
    Prudencio nickte knapp und sah zu, wie seine Frau davonging.
    Flüchtig nahm er ihre breiten Hüften wahr und ihren Gang, der dem eines müden Tiers glich,

Weitere Kostenlose Bücher