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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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trägt.
    In der näheren Bestimmung der ethischen Tugend geht Aristoteles in mehrfacher Hinsicht über Platon hinaus. Zum einen ist die Tugend von jeglicher ontologischen Begründung frei. Die Ethik des Aristoteles ist eine Ethik ohne Metaphysik. Zum anderen ist die Darstellung nicht mehr konzentriert auf die vier Kardinaltugenden, sondern auf eine größere Zahl von Tugenden aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Schließlich liegt das Besondere der ethischen Tugend darin, dass sie eine Mitte zwischen zwei Extremen darstellt, wobei die Mitte nicht ein Mittelmaß im Sinne einer Zurückhaltung der Kräfte und Möglichkeiten, sondern zugleich ein Höchstmaß darstellt. Aristoteles erläutert dies am Beispiel der Gesundheit, die durch die beiden Extreme Unterernährung und Völlerei zerstört wird. Alles, was einen Wert hat, steht demnach in einem Gegensatz zu den Extremen, die ihrerseits auch untereinander im Gegensatz stehen. Dabei ist die Mitte nicht die geometrisch genau errechnete Mitte. Wenn Tapferkeit die Mitte zwischen den Extremen Feigheit und Tollkühnheit ist, dann steht sie der Tollkühnheit doch etwas näher als der Feigheit. Aristoteles hat mit dieser Konzeption die Volksethik des Maßes wie die ontologische Begründung Platons von der Mitte als Höchstwert zwischen Extremen verwandelt in ein eigenes, in sich konsistentes ‹System›, das die Theorie der Mitte in Einklang mit dem Unschärfecharakter menschlichen Handelns bringt. Dabei findet das Konzept der Mitte nicht auf jedes Handeln Anwendung, so z.B. nicht auf Mord, Diebstahl und Ehebruch, wo es keine erstrebenswerte Mitte gibt, sondern nur auf Handlungen, die einen Wert darstellen. Auf diese Weise gelangt Aristoteles schließlich zu einer Definition der ethischen Tugend:
Es ist aber die Tugend eine auf Entscheidung gegründete Haltung, die in einer Mitte liegt, und zwar in der Mitte in Bezug auf uns, festgelegt durch (richtige) Überlegung und so, wie der Umsichtige sie festlegen würde (II 6, 1106 b 36).
    Bei dieser Formulierung ist (auch in der Übersetzung) das Bestreben zu spüren, jede starre, dem Bereich menschlichen Handelns unangemessene Festlegung zu vermeiden, ohne in vage Unverbindlichkeit zu verfallen. Konkret wird diese Definition mit Inhalt gefüllt durch Nominierung von zwölf ethischen Tugenden mit den dazugehörigen Extremen in Form einer Tabelle.

    Dieser Tabelle ist kaum anzumerken, dass Aristoteles mit dem Ausdruck ringt. Mehrfach sagt er, dass in einigen Fällen zur Bezeichnung der Mitte und vor allem der Extreme noch keine gängigen Begriffe zur Verfügung stünden, um dann selber einen Vorschlag zu machen.[ 6 ] Zudem zeigt der Text deutlich die Spuren mündlichen Vortrages. Aristoteles geht von einer TabelleII 7, 1107 a 33) aus, die offenbar seine Hörer vor sich hatten. Die einzelnen Ausführungen sind aber so von Rand- und Zwischenbemerkungen durchzogen, dass die Übersichtlichkeit beeinträchtigt ist, wie es bei einer schriftlich konzipierten Form nicht denkbar wäre. Damit ist zugleich deutlich, dass die Nikomachische Ethik nicht die glättende Hand eines Redaktors erfahren hat, sondern in der vorliegenden Form den genuinen Wortlaut des Aristoteles wiedergibt.
    Dieser erste Durchgang durch die ethischen Tugenden wird abgeschlossen durch einige generelle Bemerkungen, die wiederum stark auf den Sprachgebrauch rekurrieren. So unterliegen die zueinander und zur Mitte stehenden Extreme einer Relativierung durch die Sprache. Der Tapfere erscheint im Sprachgebrauch dem Feigen als Draufgänger; der Großzügige dem Knausrigen gegenüber als Verschwender. Zudem steht tatsächlich manchmal die Mitte einem der Extreme näher als dem anderen, so dass die Gegensätze im Verhältnis zur Mitte unterschiedlich ausgeprägt sein können. Daher ist es schwer, im Einzelfall die Mitte im Hinblick auf Person, Ausmaß, Zeit und Zweck festzulegen und zu finden.
    F REIWILLIGKEIT , E NTSCHEIDUNG , V ERANTWORTUNG
    Ergänzende Analysen zur Verwirklichung der Tugend entwickelt Aristoteles im dritten Buch der Nikomachischen Ethik . An erster Stelle steht das Problem der Freiwilligkeit.[ 7 ] Es ist klar, dass eine tugendhafte Handlung nur dann vorliegt, wenn sie freiwillig vollzogen wird. Wer nur unter Zwang oder Gewalt etwas Gutes tut, handelt nicht tugendhaft. Aristoteles belässt es aber nicht bei dieser einfachen und einleuchtenden Maxime, sondern dringt zu einer grundsätzlichen Analyse des Phänomens vor, das komplexer ist, als man zunächst denkt.

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