Arkadien 01 - Arkadien erwacht
hättest du Erfahrung damit.«
»Eine Menge.«
Sie passierten die sonnendurchglühte Piazza im Zentrum des Dorfes. Das Cabrio glitt durch den Schlagschatten einer steinernen Heiligenfigur. Vor einer Bar saß ein Dutzend alter Männer und blickte ihnen stumm hinterher.
Als sie den Ort wieder verließen, bückte sich Alessandro und hob die Mappe auf. »Hast du sie dir angeschaut?«
»Nein«, sagte sie kopfschüttelnd. »Geht mich nichts an.«
»Im Ernst?«
Sie hob die Schultern. »Was ist mit Iole?«
Er zog die Dokumente hervor und blätterte flüchtig darin. »Ich habe mit Cesare über sie gesprochen. Er wird sich darum kümmern.«
Ihre Kinnlade klappte herunter. »Das ist alles?«
»Offiziell muss er tun, was ich sage. Bei unserem Gespräch waren genug andere dabei, dass er es sich nicht leisten kann, meinen Befehl zu missachten.«
»Deinen Befehl! Er wollte dich umbringen, schon vergessen?«
»Das ist kompliziert«, sagte er und schob die Papiere zurück in die Mappe.
Ihr Tonfall wurde eisig. »Red nicht mit mir, als wäre ich zu dumm, es zu verstehen.«
»Die ganze Sache ist verfahren. Cesare und Tano und mein Vater, auch wenn er tot ist, und –«
»Deine Mutter.« Das sollte wehtun.
»Ja«, sagte er leise. »Sie auch.«
»Die Familie hat seit dem Tod deines Vaters die Führung verloren«, stellte sie fest, als er nicht gleich fortfuhr.
»Der Clan ist gespalten. Die einen unterstützten Cesare, die anderen mich. Und keine der beiden Gruppen kann riskieren, die andere vor den Kopf zu stoßen.«
Sie hob eine Augenbraue. »Weil das allmächtige Mafiaimperium der Carnevares dann auseinanderbrechen würde?«
»Im besten Fall. Im schlimmsten würde vielleicht der eine oder andere beschließen, den Schutz, den ihnen früher mein Vater gewährt hat, bei der Staatsanwaltschaft zu suchen. Es ist nicht mehr so wie damals, als alle zusammenhielten und es als ehrenrührig galt, zur Polizei zu gehen. Heute wägt jeder Handlanger seine persönlichen Vorteile ab. Zwei, drei Jahre im Knast abzusitzen, mit Kabelfernsehen und Besuchsrecht, klingtdoch attraktiver, als in einem Kleinkrieg zwischen zwei capi Kopf und Kragen zu riskieren.«
Sie verstand jetzt, worauf das hinauslief. »Also können weder Cesare noch du offen gegen den anderen vorgehen. Und weil du in ein paar Monaten dein Erbe antreten wirst, wahrt Cesare nach außen hin den Schein und gehorcht dir.«
»Jedenfalls, was die unwichtigen Dinge angeht.«
Sie schlug mit der Hand aufs Steuer. »Dieses Mädchen ist seit sechs Jahren eingesperrt!«
»Nicht wichtig für ihn «, korrigierte er sich.
Sie blickte zur Seite, sah geradewegs in seine Augen. Im Hintergrund glitten kahle Hügel vorüber.
»Du traust mir nicht«, stellte er fest.
Sie lachte ohne jeden Humor. »Natürlich nicht.«
»Weil ich dich mit auf die Insel genommen habe?«
»Weil du mir nicht die Wahrheit gesagt hast darüber, warum du das gemacht hast.«
»Wärst du denn mitgekommen? Wenn ich es dir gesagt hätte?«
»Vielleicht.« Sie überlegte kurz. »Ja, wäre ich.«
Sie spürte, dass er sie noch immer beobachtete, aber sie musste sich aufs Fahren konzentrieren, weil die Straße wieder kurviger wurde.
»Biegst du da vorn nach rechts ab?«, bat er.
»Und dann?«
»Zeig ich dir was.«
»Mehr Geheimnisse.«
»Es ist gar nichts so Geheimnisvolles daran. Versprochen.«
» Du bist das Geheimnis.«
Er lächelte. »Ich?«
Rosa nickte und strich sich das wehende Haar aus dem Gesicht. Aber sie sagte nichts mehr und lenkte den Wagen an der nächsten Abzweigung nach rechts.
Bald darauf kamen sie an eine eingestaubte Straßensperreaus zusammengenagelten Holzkreuzen. Alessandro bedeutete ihr, die Blockade zu umfahren. Ebenso die beiden nächsten.
Sie waren weit und breit die beiden einzigen Menschen in einem Ödland aus abgebrannten Äckern und wilden Olivenbäumen. Eine lang gestreckte Staubwolke folgte ihnen und teilte hinter ihnen als braune Wand die Landschaft. Auf den Hügeln reckten Kakteen ihre Arme in den Himmel.
Vor ihnen tauchte eine Autobahnauffahrt auf. Nur dass es weder Leitplanken noch Markierungen gab. Keine Schilder. Erst recht keine anderen Fahrzeuge. Dennoch führte die Straße in einer engen Schleife auf ein breites Asphaltband, das sich schnurgerade bis zum Horizont erstreckte. Auch hier fehlten Linien oder Zeichen. Rosa schätzte, dass der Platz für vier Fahrstreifen nebeneinander reichte, aber alles war mit Staub und verwehtem Erdreich bedeckt.
Keine
Weitere Kostenlose Bücher