Arkadien 01 - Arkadien erwacht
umgebracht.«
»Doch«, sagte Rosa. »Eine.«
Zoe nahm ihre Hand. »Rosa, du weißt nicht mal, ob es ein Sohn geworden wäre … Es war doch noch so früh …«
»Ich hab’s gespürt. Ich wusste ganz genau, dass es ein Junge war.«
Zoe war klug genug, nicht dagegen anzureden. »Du hast ihn nicht umgebracht.«
»Nein, das war die Ärztin. Aber sie hat nur ihren Job gemacht und das hätte ich auch tun sollen – ich hätte ihn zur Welt bringen sollen.« Rosa rang nach den richtigen Worten. »Weißt du, es ist überhaupt nicht so, dass ich mir ein Kind wünsche. Ich meine, ein Kind , du liebe Güte … Aber ich hätte es nach der Geburt zur Adoption freigeben können oder so was. Und nicht einfach … ach, was weiß ich, was ich hätte tun sollen. Jedenfalls nicht auf die anderen hören. Ganz sicher nicht auf Mom.«
»Du kannst ihr nicht die Schuld geben.«
»Weißt du, was ich mich frage, seit ich über diese … Schlangensache Bescheid weiß? Ob Mom wollte, dass das Kind verschwindet, damit nicht noch einer von uns auf die Welt kommt. Noch ein Alcantara. Nicht noch mehr –«
»Arkadier?«
Rosa nickte. »Nach Dads Tod muss sie eine Höllenangst vor ihnen gehabt haben. Vor Florinda.«
»Wenn Florinda gewollt hätte, dass ihr etwas zustößt, dann hätte sie das schon viel früher bewerkstelligen können.«
»Vielleicht wollte sie das sogar. Aber dann hat sie es gelassen, unseretwegen. Weil es sonst keine Erben gegeben hätte. Hat Florinda mal erwähnt, dass sie keine Kinder haben kann? Ich hab die halbe Nacht darüber nachgedacht, und so ergibt alles einen Sinn … Sie hat Mom in Frieden gelassen, weil ohne uns kein Alcantara-Clan mehr existieren würde … Und es war ja bequem für sie, dass Mom sich um uns gekümmert hat, bis wir alt genug waren, um hierher zurückzukehren.« Sie schnaubte verächtlich. »In den Schoß der Familie.«
»Aber das alles hier, Rosa … das ist gut für uns! Hier gehören wir hin. Wir sind nun mal ein Teil davon. Wir sind Alcantaras.«
»Und deshalb darf ich nicht mit einem Carnevare –«
»Vögeln?«
»Sprechen.«
»Du hast gesehen, was passiert. Tano kommt her und ist drauf und dran, das Konkordat zu brechen. Auf der Insel haben sie sich deinetwegen fast gegenseitig umgebracht. Und diese Sache gestern, was immer ihr getrieben habt –«
»Wir haben gar nichts getrieben !«
»Das schafft nur Unruhe.«
Sie gingen schweigend weiter, nun entlang der Nordfassade, vorbei am Glashaus. Durch die beschlagenen Scheiben drang der grünliche Lichtschein.
»Wenn du dich erst daran gewöhnt hast«, sagte Zoe, »dann wird es dir gefallen.«
»Durch den Dreck zu kriechen?«
Zoe blieb stehen. Wut flammte in ihrem Blick auf und einen Herzschlag lang meinte Rosa in den Augen ihrer Schwester geschlitzte Pupillen zu sehen. »Sieh es endlich, wie es ist,Rosa! Wir sind nicht wie gewöhnliche Menschen, sondern etwas Besonderes … Wir sind Menschen und Arkadier. Wir sind die überlegene Spezies. Unsere Vorfahren haben Arkadien regiert. Sie haben das Mittelmeer beherrscht und die Länder an seinem Ufer.«
»Bis vor zwei Jahren wusstest du doch nicht mal, wo das beschissene Mittelmeer liegt.«
Zoe stieß scharf den Atem durch die Nase und ging wieder schneller. Rosa hielt mit ihr Schritt, von einem Lichtkreis zum nächsten. Am Waldrand rauschten die Kastanien. Längst hatten auch die Zikaden ihr nächtliches Konzert begonnen.
»Was wird geschehen, wenn der Hungrige Mann nach Sizilien zurückkehrt?«, fragte Rosa nach einer Weile. »Pantaleone sagt, es könnte Kämpfe zwischen den Dynastien geben.«
»Alle fürchten ihn.«
»Glaubt er wirklich, dass er der wiedergeborene König ist? Dieser Lykaon?«
»Zumindest sind einige der anderen davon überzeugt.«
»Er muss ziemlich alt sein.«
»Ungefähr wie Pantaleone. Mitte siebzig, glaube ich.«
»Wie toll kann es sein, zu einer … Spezies zu gehören, die morden würde, nur weil ein Greis es befiehlt?«
»Keiner weiß, was er eigentlich im Schilde führt. Aber er muss mächtige Verbündete haben.«
»Hat die Mafia nicht schon immer Einfluss auf die Regierung genommen?«
»Um jemanden wie ihn freizubekommen, muss auf höchster Ebene Druck gemacht worden sein.« Zoe hielt inne, als sie wieder den Vorplatz betraten. Sie hatten das Anwesen einmal umrundet. »Noch ist es nicht mehr als Gerede. Keiner weiß genau, warum oder wann der Hungrige Mann freikommen soll. Was hinter den Kulissen vorgeht. Aber die capi sind
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