Arm und Reich
die sich in der Höhe ihres Salzverbrauchs bereits unterschieden. Ähnlich können Kulturanthropologen, die nicht die Macht haben, in einem Experiment verschiedene menschliche Gemeinschaften für viele Jahrhunderte besser oder schlechter mit Ressourcen auszustatten, dennoch die langfristigen Auswirkungen einer unterschiedlichen Segnung mit den Gaben der Natur studieren, indem sie Vergleiche zwischen polynesischen Gesellschaften anstellen, die sich in der jüngeren Vergangenheit auf verschiedenen Inseln mit unterschiedlicher Ressourcenausstattung entwickelten. Dem Geschichtsforscher bieten sich neben dem Vergleich der fünf bewohnten Kontinente zahlreiche weitere natürliche Experimente zur Auswertung an. So können auch große Inseln, auf denen in relativer Isolation komplexe Gesellschaften entstanden (z. B. Japan, Madagaskar, Hispaniola, Neuguinea, Hawaii und viele andere), und Kulturen auf Hunderten kleinerer Inseln sowie regionale Gesellschaften innerhalb jedes Kontinents zum Gegenstand von Vergleichen gemacht werden.
Natürliche Experimente sind in jedem Bereich der Wissenschaft, ob Ökologie oder Geschichte, potentieller Kritik aus methodischer Sicht ausgesetzt. Diese bezieht sich beispielsweise auf die Auswirkungen der natürlichen Variation anderer als der untersuchten Variablen, durch welche die Aussagefähigkeit des Experiments beeinträchtigt werden kann, sowie auf Probleme bei der Ableitung von Kausalketten aus beobachteten Korrelationen zwischen Variablen. Derartige methodische Probleme sind in einigen historischen Naturwissenschaften ausführlich thematisiert und diskutiert worden. Insbesondere in der Epidemiologie, in der es um die Gewinnung von Erkenntnissen über menschliche Krankheiten durch den Vergleich von Personengruppen (oft mit Hilfe retrospektiver historischer Studien) geht, bedient man sich schon lange und mit Erfolg formalisierter Verfahren für den Umgang mit ähnlichen Problemen wie jenen, die sich dem Historiker bei der Erforschung der Geschichte menschlicher Gesellschaften stellen. Intensiv beschäftigt hat sich auch die Ökologie mit den Problemen bei natürlichen Experimenten, da sie häufig auf diese Methode zurückgreifen muß, wenn direkte experimentelle Interventionen zur Manipulation bestimmter ökologischer Variablen unmoralisch, ungesetzlich oder unmöglich sind. In der Evolutionsbiologie wurden in letzter Zeit immer raffiniertere Methoden entwickelt, um aus Vergleichen verschiedener Pflanzen und Tiere mit bekannter Evolutionsgeschichte Schlüsse ziehen zu können.
Kurzum, ich gestehe ein, daß die Geschichte unserer Spezies viel schwerer zu verstehen ist als Probleme in Wissenschaftsbereichen, in denen historische Verläufe keine Rolle spielen und weniger Variablen zu berücksichtigen sind. In mehreren Disziplinen wurden aber Methoden entwickelt, mit denen historische Probleme erfolgreich analysiert werden können, was dazu geführt hat, daß die Erforschung der Geschichte von Dinosauriern, Spiralnebeln und Gletschern als Domäne naturwissenschaftlicher und nicht geisteswissenschaftlicher Fächer gilt. Durch Selbstbeobachtung können wir jedoch weitaus mehr Einsichten in die Verhaltensweisen und Eigenschaften von Menschen als in die von Dinosauriern gewinnen. Ich hege deshalb den Optimismus, daß die Geschichte menschlicher Gesellschaften auf ebenso naturwissenschaftliche Weise erforscht werden kann wie die der Dinosaurier – mit Gewinn für unsere heutige Gesellschaft, indem wir daraus lernen, wie die moderne Welt geformt wurde und was unsere Zukunft bestimmen könnte.
Danksagungen
Es ist mir ein Vergnügen, die Beiträge zahlreicher Personen zu diesem Buch zu würdigen. Meine Lehrer an der Roxbury Latin School weckten in mir das Interesse für Geschichte. Wie sehr ich all meinen Freunden und Bekannten in Neuguinea zu Dank verpflichtet bin, ist schon daraus ersichtlich, wie oft ich ihre Erfahrungen zitiere. Ebenso großen Dank (und Absolution von jeder Verantwortung für meine Fehler) schulde ich meinen vielen akademischen Freunden und Berufskollegen, die mir geduldig die Feinheiten ihrer Fächer erläuterten und die Rohfassungen meiner Texte mit mir besprachen. Hervorheben möchte ich besonders Peter Bellwood, Kent Flannery, Patrick Kirch und meine Frau Marie Cohen, die alle das Manuskript von vorne bis hinten durchlasen. Charles Heiser jr., David Keightley, Bruce Smith, Richard
Weitere Kostenlose Bücher