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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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Geschich­te sei das Werk »großer Männer«, dürfte kaum in der Lage sein, das allgemeinste Verlaufsmuster der Geschich­te auf das Wirken einer Handvoll solcher herausragen­den Gestalten zurückzuführen. Vielleicht gab Alexan­der der Große den schriftbesitzenden, Landwirtschaft treibenden, eisenverarbeitenden Staaten im westlichen Eurasien tatsächlich einen Anstoß und beeinflußte ihre weitere Entwicklung, doch er hatte nicht das Geringste damit zu tun, daß solche Staaten im westlichen Eura­sien schon existierten, als in Australien noch Jäger und Sammler umherzogen, die weder Schrift noch Metall­werkzeuge kannten. Es bleibt dennoch eine wichtige of­fene Frage, wie bedeutsam und nachhaltig die Folgen des Handelns einzelner Persönlichkeiten für den Gang der Geschichte waren.
    Das Fach Geschichtswissenschaft wird im allgemeinen nicht den Natur-, sondern den Geisteswissenschaften zugerechnet. So empfinden sich die meisten Histori­ker denn auch nicht als Naturwissenschaftler und ma­chen während ihrer Ausbildung wenig Bekanntschaft mit den klassischen Naturwissenschaften und ihren Methoden. Weit verbreitet ist die Vorstellung von Ge­schichte als einer bloßen endlosen Ansammlung einzel­ner Fakten (»eine blöde Jahreszahl nach der anderen«).
    Daß es schwieriger ist, allgemeine Prinzipien aus dem Studium der Geschichte als aus der Beobachtung der Umlaufbahnen von Planeten abzuleiten, leuchtet ein. Mir erscheinen die Schwierigkeiten jedoch nicht un­überwindlich. Vor ähnlichen Problemen stehen näm­lich auch andere historische Fächer, die dennoch einen sicheren Platz im Kreis der Naturwissenschaften haben, wie Astronomie, Klimatologie, Ökologie, Evolutionsbio­logie, Geologie und Paläontologie. Die Vorstellung, die sich die meisten Menschen von den Naturwissenschaften machen, beruht leider oft auf der Physik und einer Hand­voll anderer Disziplinen mit ähnlichen Methoden. Ihre Vertreter blicken oft mit von Unwissenheit zeugender Geringschätzung auf Disziplinen herab, für die ihre Me­thoden ungeeignet sind und die sich deshalb anders be­helfen müssen; dies gilt beispielsweise auch für meine eigenen beiden wissenschaftlichen Schwerpunkte, die Ökologie und die Evolutionsbiologie. Insofern habe ich viel Verständnis für Studenten der Geschichtswissen­schaft und die Probleme, denen sie gegenüberstehen.
    Historische Naturwissenschaften im weiteren Sinne (einschließlich Astronomie usw.) haben viele Merkmale gemein, die sie von nichthistorischen Naturwissenschaften, wie Physik, Chemie und Molekularbiologie, unter­scheiden. Ich will vier Aspekte herausgreifen: Methodo­logie, Kausalität, Prädiktion und Komplexität.
    In der Physik ist das Laborexperiment die Hauptquel­le neuer Erkenntnisse. Grob skizziert, wird dabei der Parameter, der Gegen stand des Interesses ist, verändert und in parallelen Kontrollexperimenten konstant gehal­ten; andere Größen bleiben unterdessen strikt konstant; schließlich werden Experiment und Kontrollexperiment repliziert. Auf solchem Wege erhält man quantitative Daten. Diese Vorgehensweise, die auch in der Chemie und Molekularbiologie gut funktioniert, wird in den Köpfen vieler Menschen mit Wissenschaft schlechthin gleichgesetzt, so daß Experimente oft als Inbegriff der »wissenschaftlichen Methode« gelten. In den meisten hi­storischen Naturwissenschaften sind Laborexperimen­te hingegen aus offenkundigen Gründen selten oder gar nicht möglich. Man kann die Entstehung einer Gala­xie nun einmal nicht unterbrechen, Wirbelstürme oder Eiszeiten anhalten, Grizzlybären in einigen National­parks zu Forschungszwecken ausrotten oder die Evolu­tion der Dinosaurier noch einmal neu starten. Die hi­storischen Naturwissenschaften sind deshalb darauf an­gewiesen, Erkenntnisse auf andere Weise zu gewinnen, beispielsweise durch Beobachtung, Vergleich und soge­nannte natürliche Experimente (auf die ich gleich noch eingehen werde).
    Im Vordergrund des Interesses stehen in den histori­schen Naturwissenschaften Kausalketten unmittelbarer und eigentlicher Ursachen. Während Begriffe wie »ei­gentliche Ursache«, »Zweck« und »Funktion« weder in der Physik noch in der Chemie eine Rolle spielen, sind sie für das Verständnis lebender Systeme allgemein und menschlicher Aktivitäten im besonderen unverzichtbar. Ein Evolutionsbiologe, dessen Forschungsgegenstand Schneehasen sind, deren Fell im Sommer braun und im Winter weiß ist, würde sich beispielsweise nicht

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