Armageddon 05 - Die Besessenen
sich nicht sonderlich gut aus, und das wenige, was er wußte, stammte aus zweiter Hand. Altes, abgestandenes Wissen, Erinnerungen an Geschichten, die er von den Bewohnern der untersten Sternenkratzeretagen gehört hatte. Geschichten von geheimen Kampfeinsätzen, von Truppen, die in Hinterhalte geraten und mit überlegener Feuerkraft überrascht worden waren und darauf warteten, aus der vordersten Front evakuiert zu werden. Ihre blutigen, abgekämpften Verletzten hatten an Orten wie diesen geendet, in einem Feldhospital, wo man sie nach der Schwere ihrer Verwundungen behandelt hatte. Es war die neueste Entwicklung in der unglückseligen Saga der Habitatbewohner. In letzter Zeit war jeder Spaziergang durch das Parkland zu einer Art archäologischer Exkursion geworden. Die einzelnen Entwicklungsstufen der Besiedelung lagen in konzentrischen Ringen um die Lobbys herum, für jeden deutlich zu sehen.
Zu Anfang hatte es nur die Lobbys gegeben, hübsche Rotunden aus Stein und Glas, die sich nahtlos in die tadellos gepflegte Parklandschaft einfügten. Dann waren die Besessenen gekommen. Während der zahllosen Kämpfe zwischen Kiera Salter und ihren Anhängern und Rubra waren die Sternenkratzerlobbys verwüstet worden, und rings um die Gebäude waren Städte entstanden. Winzige Tudorhäuser standen neben arabischen Zelten und Winnebagos. Der Einfallsreichtum der Bewohner war großartig. Das war, bevor Valisk das reale Universum verlassen hatte.
Im Anschluß daran war die Illusion von Solidität geschmolzen wie Wachs in der Sonne, und darunter waren armselige Hütten aus Plastikabfall und Wellblech zum Vorschein gekommen. Sie lehnten baufällig aneinander und sorgten so für eine zweifelhafte Stabilität. Die schmalen Grasstreifen in den Zwischenräumen hatten sich in bodenlosen Morast verwandelt, der nicht selten als offener Abwasserkanal diente.
Und jetzt hatte sich das Schicksal der letzten Überlebenden von Valisk erneut gewendet. Sie fühlten sich von den Bauten ihrer einstigen Possessoren abgestoßen, und so lagerten sie einfach auf dem umgebenden freien Grasland. Es fehlte ihnen zu sehr an Willenskraft und Energie, um irgend etwas anderes zu tun. Einige lagen auf dem Rücken, andere hatten sich zusammengerollt, wieder andere standen an Bäume gelehnt, und manche stolperten ziellos umher. So schlecht sieht es eigentlich gar nicht aus, dachte Tolton. Nach allem, was sie durchgemacht hatten, war eine Phase der Benommenheit nur zu verständlich. Es waren die Geräusche, die an Toltons Nerven zerrten. Unterdrückte Schluchzer und lautes Weinen vergifteten die Luft mit quälendem Entsetzen. Fünftausend Menschen, die alle gleichzeitig einen Alptraum träumten.
Und wie in einem Traum wollten sie einfach nicht erwachen. Anfangs, nachdem Tolton aus seinem Versteck hervorgekrochen war, war er noch von einem zum anderen gegangen. Hatte Worte des Trostes und des Mitgefühls gesprochen, einen beruhigenden Arm um die eine oder andere Schulter gelegt. Tapfer hatte er zwei Stunden so ausgehalten, bevor er sich schließlich eingestanden hatte, wie erbärmlich sinnlos all seine Bemühungen waren. Irgendwie mußten sie wohl alleine über dieses seelische Trauma hinwegkommen.
Es würde nicht leicht werden, nicht mit den Geistern als allgegenwärtige Erinnerung an ihre Qualen. Die Ex-Possessoren schlichen verstohlen zwischen den Bäumen des nahen Dschungels umher. Aus welchem Grund auch immer – sie verschwanden einfach nicht, nachdem sie aus ihren geraubten Körpern vertrieben worden waren. Unmittelbar nach Valisks seltsamer Verwandlung hatten sie sich noch sehnsüchtig an ihre Opfer geklammert und waren ihnen mit perverser Andacht überall hin gefolgt, während ihre einstigen Gefangenen als Reaktion auf ihre plötzliche Befreiung zitternd und sich erbrechend umhergekrochen waren. Und dann, als die Menschen nach und nach wieder zur Besinnung zurückfanden und es bemerkten, war die Wut durchgebrochen. Es war der massive Ausbruch von allgemeinem Haß gewesen, der die Geister gezwungen hatte sich zurückzuziehen, nicht die wütenden Beschimpfungen und Rachedrohungen.
Sie waren in den Dschungel rings um das Parkland geflohen, beinahe bestürzt über die Reaktion, die sie erzeugt hatten. Doch sie waren nicht ganz verschwunden. Tolton konnte sie noch immer sehen. Sie drängten sich unter den düsteren alten Bäumen, und ihre unheimliche bleiche Ausstrahlung warf durchsichtige Schatten zwischen den Ästen und Stämmen.
Die Geister
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