Armageddon 05 - Die Besessenen
denken, dann hat sie gewonnen. Sie müssen es hinter sich bringen. Es ist vorbei, und Sie haben gewonnen. Sie wurde exorziert; sie ist nichts mehr als ein neurotisches Irrlicht. Und das wird sie bis zum Ende bleiben. Ich würde so etwas einen Sieg nennen. Sie vielleicht nicht?«
»Aber es tut so weh«, beharrte die Frau. Ihre Stimme sank zu einem Flüstern, als wollte sie beichten. »Wie kann ich vergessen, wenn alles so schrecklich weh tut?«
»Sehen Sie, es gibt eine Behandlung dagegen. Erinnerungssuppressoren, alle möglichen Medikamente. Sobald es im Habitat wieder Strom gibt, können Sie …«
»Nicht mein Verstand! Nicht nur meine Seele!« Ihr Tonfall war beinahe flehend. »Mein Körper. Mein Körper tut so schrecklich weh.«
Tolton beschlich eine dunkle Vorahnung, in welche Richtung die Konversation laufen würde. Die Frau zitterte ununterbrochen, und er war sicher, daß ein Teil der Feuchtigkeit auf ihrem Gesicht Schweiß war. Er warf einen nervösen Blick auf die unnatürliche Farbe ihrer Haarwurzeln. »Wo genau tut es denn weh?«
»Mein Gesicht«, murmelte sie. »Mein Gesicht tut weh. Das bin nicht mehr ich. Ich konnte mich nicht erkennen, wenn sie in einen Spiegel gesehen hat.«
»Das haben alle getan. Sie haben sich alle lächerlich jung und hübsch gemacht. Es war eine Illusion, weiter nichts.«
»Nein. Es wurde real. Ich bin nicht mehr ich, nicht einmal jetzt. Sie hat mir meine Identität genommen. Und …« Ihre Stimme bebte. »Meine Figur. Sie hat mir den Körper gestohlen, und selbst das hat ihr nicht gereicht. Sehen Sie nur, sehen Sie, was sie mir angetan hat!«
Die Frau schlug die Plane mit einer Langsamkeit zur Seite, daß Tolton ihr am liebsten geholfen hätte. Zum ersten Mal wünschte er sich, die Axialröhre wäre noch dunkler. Im ersten Augenblick sah es aus, als hätte jemand mit einem nanonischen Kosmetik-Adaptionspaket gewaltigen Pfusch angestellt. Ihre Brüste waren schwer mißbildet. Dann wurde ihm bewußt, daß die Mißbildung aus großen fleischigen Beulen resultierte, die sich aus der Oberfläche drückten wie hautfarbene Blutegel. Jede einzelne der Beulen war nahezu doppelt so groß wie die ursprüngliche Brust, und das Gewicht zerrte schwer an ihrem Busen. Das natürliche Gewebe war fast nicht mehr zu sehen.
Das Schlimmste daran war, daß es sich offensichtlich nicht um Implantate handelte; was auch immer diese Beulen darstellten, sie waren aus dem natürlichen Drüsengewebe herausgewuchert. Unter der Brust wurde der Bauch von einer unnatürlich aussehenden ovalen Schicht harter Haut flach gehalten. Es war, als hätte sie eine dicke Hornhaut entwickelt, unter der sich falsche Muskeln durch schwache halb transparente Linien abzeichneten.
»Sehen Sie?« Die Frau starrte voller Elend an ihrer nackten Brust herab. »Größere Brüste und ein flacher Bauch. Sie wollte größere Brüste, das hat sie sich gewünscht. Sie waren nützlicher für ihre Zwecke. Mehr Vergnügen, schöner anzusehen. Und sie konnte all ihre Wünsche Wirklichkeit werden lassen.«
»Gott sei uns gnädig«, murmelte Tolton voller Entsetzen. Er wußte nicht viel über menschliche Krankheiten, doch in den medizinisch-didaktischen Erinnerungen seiner Kindheit blitzten ein paar rudimentäre Informationen auf. Krebstumoren. Eine nahezu verschwundene Krankheit. Gentechnik hatte den menschlichen Körper unglaublich resistent gegen diesen Fluch aus alten Zeiten gemacht. Und bei den wenigen Gelegenheiten, wo der Krebs doch noch ausbrach, waren nanonische Medipacks imstande, das befallene Gewebe zu penetrieren und die kranken Zellen innerhalb weniger Stunden auszurotten.
»Ich war Krankenschwester«, sagte die Frau, während sie sich schamvoll wieder zudeckte. »Es ist außer Kontrolle. Meine Brüste haben die größten Geschwülste, aber ich habe überall Tumoren, wo sie Veränderungen an meinem Körper vorgenommen hat.«
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Tolton mit rauher Stimme.
»Ich brauche nanonische Medipacks. Wissen Sie, wie man die Packs programmiert?«
»Nein. Ich besitze auch keine. Ich bin nur ein Poet, das ist alles.«
»Dann müssen Sie welche für mich suchen. Bitte. Meine neurale Nanonik arbeitet nicht mehr, aber vielleicht tut es statt dessen ein Prozessorblock.«
»Ich … ja, natürlich.« Er würde einen Abstecher in den kalten, dunklen, leblosen Sternenkratzer unternehmen müssen, um nanonische Medipacks zu finden – doch sein Unbehagen wegen dieser Aussicht war nichts im Vergleich zu
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