Armageddon 1 - Das Musical
Bedürfnisse aus. Im Schlafzim-
mer befand sich eine modrige Pritsche, im Wohnzimmer der selbstgebas-
telte Lehnsessel und ein Fernsehterminal. Bis auf den güldenen Cheru-
bim war die einzige Anomalie, die das Auge eines möglichen Besuchers
angezogen hätte – würde Rex jemals einen Besucher empfangen haben,
was er niemals tat –, ein Wandgemälde, das die ganze Seite seines Wohn-
zimmers einnahm. Dieses Wandgemälde war in der Tat ein Ding von
sprichwörtlicher Schönheit, so real, daß es beinahe aussah wie eine Pho-
tographie. Unter einem Himmel aus dem tiefsten Blau brandeten schäu-
mend weiße Wel en auf einen goldenen Strand, große Palmen bogen sich
unter der Last reifender Kokosnüsse, und am Horizont kreuzte ein Oze-
andampfer mit einer einzelnen weißen Rauchsäule aus einem einzelnen
schwarzen Schornstein.
Obwohl Rex den Anblick seines Wandgemäldes immer wieder in vol-
len Zügen genoß, gab er nicht vor, es zu verstehen. Er hatte das Meer
noch nie gesehen, und der Dampfer verwirrte ihn mächtig. Warum, so
fragte er sich immer wieder, sol te jemand eine Fabrik in so großer Ent-
fernung von der nächsten U-Bahn-Station bauen?
Das Meisterwerk war extra für ihn gemalt worden, im Austausch gegen
Essen, von einem jungen Mann, der vorübergehend auf dem Treppenab-
satz der sechsten Etage Logis bezogen hatte. Rex hatte nie den Namen
des Künstlers erfahren, und nachdem das Gemälde fertig gewesen war,
hatte er sich ohne Worte verabschiedet. Das Wandgemälde war ein Rät-
sel, doch es brachte eine Saite in Rex zum Schwingen, und es brachte
eine nicht unbeträchtliche Helligkeit in die ansonsten düstere Umgebung.
Als die erste Nachrichtensendung des Tages begann, sandte ein winzi-
ger Apparillo, verborgen in der Rückenlehne des Stuhls, fröhliche Weck-
lieder in Rex’ zerebralen Kortex und weckte den Burschen auf. Rex
gähnte und drückte einen Knopf auf seiner Fernbedienung. Das lächeln-
de Gesicht der weiblichen Nachrichtensprecherin verblaßte und war
verschwunden. Rex stolperte blind ins Badezimmer, das, genau wie die
Küche, zu unsäglich war, um ein Wort darüber zu verlieren.
Hier wusch er seine Augen und kratzte sich die Stoppeln von seinem
Kinn. Als das Tageslicht langsam zurückkehrte, erblickte er sein ver-
schwommenes Ebenbild in dem beschlagenen Spiegel.
»Verdammt attraktiv«, sagte er zu sich.
Und in der Tat, Rex Mundi war kein schlecht aussehendes Exemplar,
soviel stand fest.
Ein wenig grau-grün um die Backen herum, aber nichts, mit dem ein
kleiner Spritzer Healthiglo Pallorgon™ nicht fertig wurde.
Und er besaß eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem gewissen Harri-
son Ford längst vergangener Tage. Vielleicht war es nur ein glücklicher
Zufall, doch wahrscheinlicher hatte die Tatsache etwas damit zu tun, daß
seine Mutter Zugriff auf die staatlichen Samenbanken gehabt hatte, die in
den 1990er Jahren des vergangenen Jahrhunderts angelegt worden wa-
ren.
Rex bemühte sich um seine tägliche Toilette, zupfte abgestorbene
Hautstückchen aus dem Gesicht und tat das Wenige, was er konnte, um
sich zurechtzumachen. Von den drei Hemden in seinem Besitz wählte er
dasjenige aus, das unter den Achseln am wenigsten steif war, und puder-
te es mit Bugoff Personal Livestock Exterminator™ ein. Nachdem er in seine schneidigste Garderobe gestiegen war, öffnete er eine Dose Synthafood ™
und frühstückte. Unglücklicherweise war das Etikett verschwunden, und
Rex war außerstande, den Inhalt zu identifizieren. Nachdem er mit der
morgendlichen Mahlzeit fertig war, kämpfte er zunächst gegen das Ge-
fühl von Übelkeit an, das unweigerlich jeder Mahlzeit folgte. Heute war
diese Übelkeit ein wenig stärker als gewöhnlich; Rex hatte, ohne es zu
wissen, eine Dose Lack konsumiert.
Er rülpste mächtig und schlüpfte in seinen Strahlenschutzanzug. Als
letztes schraubte er den Glashelm auf, dann trat er durch die Luftschleu-
se, aktivierte die Diebstahlsicherungen an seiner Wohnungstür und
machte sich auf den Weg die Treppe hinunter, um dem neuen Tag ins
Gesicht zu blicken.
Es war gar kein schlechter Tag, wie man es auch drehte. Obwohl die
Wolken nur wenige hundert Fuß über den Dächern hingen und die knis-
ternden Blitze des nahen elektrischen Sturms ein ungewisses Licht er-
zeugten. Aber wenigstens regnete es nicht. Rex schaltete seine Brust-
scheinwerfer ein und stapfte durch den Nebel zur nahe gelegenen U-
Bahn-Station.
Weitere Kostenlose Bücher