Armeen Der Nacht
weitere Figuren eingefügt, von denen sich keine in der Bierstube aufgehalten hatte. Die erste, die über Nikos Schulter blickte, war ein Mann mit glühenden blauen Augen und dunkelgoldenem Haar: ein Gesicht, das Molin als das Vashankas gesehen hatte, kurz ehe der Gott im Nichts zwischen den Welten verschwunden war.
Die zweite war eine halbgezeichnete Frau, die sich aus dem dunklen Hintergrund hob und sowohl Mann wie Gott überschattete. Lalo war unterbrochen worden, während er sie gemalt hatte, doch Molin erkannte sie als Nisibisihexe, wie seine Mutter eine gewesen oder wie Roxane es immer noch war.
Er starrte noch auf das Bild, als Niko den Ilsiger Maler wegschickte. Der Stiefsohn begann über Arton und Gyskouras zu reden, als verstünde er als einziger ihr Wesen. Die Kinder, erklärte Niko, müßten unbedingt auf Bandara erzogen werden -einer Insel, die von Freistatt aus mit einem Segelschiff in etwa einem Monat erreicht werden konnte. Als Molin ihn fragte, wie er sich die Beförderung über ein weites, möglicherweise stürmisches Meer von zwei Sturmkindern vorstellte, deren unberechenbare Launen schon jetzt Steine bewegen konnten, wurde der Stiefsohn ungehalten.
»Sie werden nirgendwo hingehen, wenn mir nicht mein Partner Randal — der von Roxane gefangengehalten wird — unversehrt zurückgebracht wird! Aber sobald das der Fall ist, reite ich zu Tempus und frage ihn, was und ob er überhaupt etwas tun will in dieser Angelegenheit des Gottkindes, das Ihr so rücksichtslos einer Stadt aufgezwungen habt, die ohnehin schon genug Probleme hatte. Doch so oder so, die Entscheidung wird Euch nicht helfen. Ihr wißt, was ich meine?«
Molin wußte es. Er spürte ein Prickeln am Ansatz seiner Wirbelsäule. Hexenblut brauste in seinem Körper. Er sah Nikodemus, wie Roxane ihn sah: seinen Maat, seine Kraft, seine Gefühle aufgedeckt wie auf des Kaisers Bankettafel — und der Priester spürte den Hexenhunger.
Niko, der nichts von Molins innerem Aufruhr bemerkte, fuhr mit seinen Forderungen fort. Er erwartete, daß Molin Askelons Rüstung aus den Händen der Magiergilde holte und Roxanes Haus mit einer Kompanie Priesterkriegern stürmte.
»Seid Ihr sicher, daß eine Kompanie genügt?« fragte Molin mit mildem Sarkasmus.
»Nein. Ich werde Randal befreien, aber Eure Priester müssen mich befreien. Ich werde Roxanes Streiter sein, werde Euren Priestern die Stirn bieten — einer gegen viele. Ihr werdet dafür sorgen, daß sie mich unverletzt gefangennehmen. Aber es muß echt aussehen! Sie darf die Wahrheit nie auch nur ahnen! Sie muß denken, daß alles allein Euer Tun ist: Priestermacht gegen Hexerei!«
»Wir sind nur zu gern zu Diensten«, versicherte ihm der Priester.
»Und was die Zeit betrifft: genau um Mitternacht am Mittwinterabend. Die zeitliche Abstimmung ist von größter Wichtigkeit, Hierarch. Das wißt Ihr! Vor allem, wenn es die Todeskönigin betrifft.«
Molin nickte und bemühte sich krampfhaft um eine ernste zustimmende Miene.
»Und ich brauche danach einen sicheren Unterschlupf. Ihr könnt mich dort unterbringen, wo Ihr diese Kinder und ihre Mutter einquartiert habt. Es wird Zeit, daß die richtigen Einflüsse um sie sind.«
Jetzt fiel es Molin sehr schwer, an sich zu halten. Was immer Maat einem Menschen gab, Sinn für Ironie ganz gewiß nicht. Sturmbringer und der Rest seiner Sturmsippschaft verließen sich sehr auf diesen trunkenen Söldner. Seine läppischen Forderungen wurden zu Prophezeiungen, kaum daß sie über seine Lippen gekommen waren. Sein Gebrabbel hielt Sturmbringer in Freistatt fest wie eine Fliege im Spinnennetz. Bereits jetzt spürte Molin, wie sich die erforderlichen Strategien und Taktiken in seine Gedanken drängten. Der Erfolg war unausweichlich — es hatte nur einen bedauerlichen Nachteil: Molin würde zu Roxanes Erzfeind werden, und was sie tun würde, wenn sie herausfand, wer seine Mutter gewesen war, könnte sich nicht einmal ein Sturmgott vorstellen.
Niko war immer noch betrunken. Er torkelte gegen die Kutsche, als er, immer noch Befehle murmelnd, in die Bierstube zurückkehrte. Die Beysiber wollten ihn zurückzerren.
»Nein, laßt ihn gehen. Er wird bereit sein, wenn wir ihn wieder brauchen. Das ist seinesgleichen immer.«
»Aber Fackelhalter«, protestierte Jennek. »Er verlangt die Sonne, den Mond und die Sterne, und hat Euch selbst nichts zu bieten. Das ist nicht die Art Handel, die Ihr uns im Palast beschrieben habt.«
»Es ist auch nicht die Art von Handel, die
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