Armeen Der Nacht
ich nicht, daß ich es überhaupt verstehen will, also werde ich keine anderen Fragen darüber beantworten.
Eure Mutter war eine Sklavin Eures Tempels. Ich konnte sie nicht sehen, bevor sie es wurde. Ich konnte sie nur sehen, weil sie unter dem Einfluß einer Droge stand, und man ihr die Zunge herausgeschnitten hatte; Eure Priesterschaft fürchtete sie. Sie wurde von Eurem Vater vergewaltigt und trug Euch nicht mit Freuden. Ihr eigener Wille war es, der den Tod brachte.«
Fackelhalter strich durch seinen Bart. Die S'danzo war beunruhigt von den Dingen, die sie gesehen hatte: Sklaverei, Verstümmelung, Vergewaltigung und Geburtstod. Er fragte sich besorgt, was das alles bedeuten mußte.
»Habt Ihr sie gesehen? Gesehen, wie die Augen Sterblicher sie sahen?« fragte er und hielt den Atem an.
Illyra stieß ihren langsam aus. »Sie war nicht wie andere Frauen, Lord Priester. Sie hatte kein Haar — dafür bedeckten schwarze Federn ihren Kopf wie eine Krone und ihre Arme wie Schwingen.«
Das Bild wurde ihm klar: eine Nisihexe. Seine Ältesten hatten mehr gewagt, als er für möglich gehalten hätte. Sturmbringers Warnung und Ischades Hinweise ergaben nun einen Sinn, und es lief ihm eiskalt über den Rücken. Vashankas Priester hatten gewagt, Hexenblut zu ihrem Gott zu bringen. Er starrte offenen Mundes ins Leere.
»Ich will keine anderen Fragen hören, Priester!« warnte Illyra.
Er fischte eine neu geprägte Goldmünze aus seinem Beutel und legte sie auf den Tisch. »Ich möchte auch gar keine weiteren Antworten, meine Dame«, versicherte er ihr, als er wieder in den Sonnenschein trat.
Der Unterschied zwischen Priestern und Ausübenden aller anderen Arten von Zauberkünsten war mehr als philosophischer Natur. Doch beide Seiten waren sich darin einig, daß des Menschen sterbliche Hülle nicht gefahrlos kommunikative — also priesterliche — Macht und traditionelle manipulative Magie in sich vereinen konnte. Falls die Verbindung nicht von selbst bereits die Seele des Bedauernswerten zerstörte, würden Magiertum und Priestertum zusammenwirken, bis diese Vernichtung herbeigeführt war.
Trotzdem zweifelte Molin nicht daran, daß Illyra die Wahrheit gesehen hatte. Erinnerungsstücke fügten sich zusammen: Zeiten in seiner Kindheit, als er auf fast unmerkliche Weise anders gewesen war als Gleichaltrige; Augenblicke in seiner frühen Jugend, als er sich auf seine Instinkte verlassen hatte, nicht auf Vashankas Leitung, um seine kühnen Strategien durchzuführen; Zeiten als Erwachsener, als seine Vorgesetzten sich verschworen und ihn an diesen wahrhaftig götterverlassenen Ort geschickt hatten; und jetzt, da er mit Magiern und Göttern verkehrte und das Los Freistatts auf seinen Schultern spürte.
Nichts vermochte die Angst auszulöschen, die Illyras Vision in ihm geweckt hatte. Er hatte sich immer nach seiner Intuition gerichtet, hatte sich voll und ganz auf sie verlassen.
Nun aber wußte er, daß das, was er für Intuition gehalten hatte, das Erbe des Hexenblutes seiner Mutter war. Er fühlte die Unterschiede zwischen wahrscheinlich und unwahrscheinlich nicht nur — er formte sie. Schlimmer noch, nun, da er sich seines Erbes bewußt war, konnte es ausbrechen und ihn und alles, was von ihm abhing, jeden Augenblick vernichten.
Er stapfte durch den kalten Sonnenschein auf Suche nach Rettung — und wußte, daß sein impulsives Suchen ein Ausdruck der Macht war, die er fürchtete. Trotzdem ließ sein Verstand ihn nicht im Stich: Sein Priester-Ich kam mit dem Hinweis zurecht, den die Intuition ihm wies: Randal, der Hasardmagier, der zum Stiefsohn geworden war. Die Freiheit des Magiers würde ganz nebenbei eine Folge von Molins anderen Strategien sein, und für diese Freiheit konnte ein Priester schon die beratende Hilfe eines Magiers erwarten.
Walegrin brauchte drei Tage, bis er Nikodemus endlich aufspürte. Die üblichen Quellen leugneten, daß der Stiefsohn in der Stadt war.
Ein wachsames Ohr in den richtigen Schenken und Gassen hörte jedoch immer so allerhand Gerüchte: Niko hatte seine Seele für die Randals gegeben — der Magier tauchte nicht mehr auf; er war Teil von Ischades verwesendem Anhang geworden — doch Strat bestritt das mit einer Heftigkeit, die durchaus ehrlich klang; in der Bierstube soff er sich besinnungslos.
»Er ist völlig betrunken. Er sieht aus wie jemand, der mit Hexen zu tun hat«, erklärte Walegrin Molin, als sie sich trafen, um ihre Strategien auszuarbeiten.
Der Priester fragte sich,
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