Armeen Der Nacht
er sich einbildet.«
Der Hexenhunger verschwand. Molin griff Halt suchend nach der Kutschentür, um nicht zusammenzubrechen. Die Tür schwang auf. Die Pferde trotteten los, und Molin verfügte gerade noch über soviel Geistesgegenwart, daß er sich auf die Polsterbank gegenüber den Kindern zog.
»Zum Palast«, befahl er.
Molin schloß die Augen, als die Kutsche durch die holprigen Straßen ratterte. Seine Knie waren weich, doch er war so erheitert, daß er den Atem anhalten mußte, um nicht hysterisch zu lachen. Er hatte die nackte Kraft seines Hexenblutes gespürt, und so sehr es ihn entsetzt hatte, war es ihm doch gelungen, es zu beherrschen. Er begeisterte sich an den unvergleichlichen und doch einfachen Strategien, die sich ihm eröffneten, als sich Lalos Bild unter seinem Arm bewegte. Mit unwillkürlichem Schaudern öffnete der Priester die Augen wieder und entriß es Gyskouras mit Schokolade beschmierten und klebrigen Händchen. Die Augen des Jungen glühten stärker als die Laternen.
»Will es!«
»Nein«, sagte Molin schwach, als ihm bewußt wurde, daß nicht einmal Sturmbringer den Einfluß und die Wünsche eines Sturmkindes vorherzusehen vermochte.
»»Ich will es!«
Seylalha, Gyskouras Mutter, versuchte ihn abzulenken, doch er stieß sie mit der Kraft eines erwachsenen Mannes zurück in die Ecke. Ihre Augen waren von Furcht erfüllt, die des Kindes wütend.
Fackelhalter hörte das Donnergrollen und hielt es nicht für seine Einbildung.
»'Kouras — nein!« Arton nahm seines Bruders Hand. Die Kinder starrten einander an, und das Glühen schwand allmählich aus Gyskouras Augen. Molin seufzte und entspannte sich, bis ihm bewußt wurde, daß das Glühen in Artons Augen gewandert war. »Er ist bereits unser, Pflegevater. Wir brauchen ihn uns nicht zu nehmen«, sagte das dunkeläugige Kind in einem Ton, der gleichermaßen beruhigend wie drohend klang.
Den Rest der Fahrt schwiegen alle. Seylalha kauerte in der Ecke; die Kinder teilten ihre Gedanken; und Molin starrte auf das Dreifachporträt.
Es waren zwei hektische Tage bis zum Mittwinterabend. Molin wußte befriedigt, daß seine Pläne nicht scheitern konnten, andererseits war er gereizt, weil er ebenso wußte, daß die bereits ins Rollen gekommenen Ereignisse von einer solchen Größe waren, daß er nicht mehr Macht hatte, etwas daran zu ändern.
Als die Sonne unterging, konnten Fackelhalter die Zufälle auf fast jedem seiner Schritte nicht mehr erschüttern. Er tat sein möglichstes, die Magiergilde davon abzuhalten, Askelons und Randals magiegeschützte Rüstung Shupansea als Dank für ihre Erlaubnis zu verehren, daß sie bei ihrer Feier das Wetter beeinflussen durften. Er dachte sogar daran, sie abzulehnen, als die Beysa sich plötzlich umdrehte und sie ihm schenkte. — »Da wir keine Sturmgötter oder Priesterkrieger haben, die würdig wären, sie zu tragen.«
Doch schließlich nahm er alle ihre Geschenke doch dankbar an — einschließlich der Erlaubnis, Jennek und seine abenteuerlustigen Freunde zu seiner persönlichen Ehrengarde zu ernennen.
Er zog sich in sein Allerheiligstes zurück, um das Schicksal allein zu erwarten — allein mit Lalos Porträt. Es würde zu keinen Überraschungen kommen, bis Randal um Mitternacht durch die Tür trat — dann allerdings würde es mehr als genug Überraschungen für Götter, Priester, Hexen, Soldaten und Zauberer gleichermaßen geben.
----
(1) Gyskouras, von Lynn Abbey in Geschichten aus der Diebeswelt: Sturm über Freistatt, Bastei-Lübbe 20122
(2) Ischade von C. J. Cherryh in Geschichten aus der Diebeswelt: Die Rache der Wache, Bastei-Lübbe 20095
(3) Eine entblößende Kunst von Diana L. Paxton in Geschichten aus der Diebeswelt: Verrat in Freistatt, Bastei-Lübbe 20101
Ischade
Armeen der Nacht
C. J. Cherryh
1
Es war ein ungewöhnliches Stiefsohntreffen, das vor kurzem stattgefunden hatte, in einer Winternacht, vor dem ganz mit Unkraut überwucherten Garten eines kleines Hauses am Flußufer. Dieses Haus, dessen innere Maße nicht mit den äußeren übereinstimmten, gehörte Ischade. Und dieses Treffen ergab sich eines Mitternachts, als sie mit einem anderen Besucher in dem äußerlich kleinen Haus beschäftigt war, während ein braunes Pferd schläfrig vor dem Gartentor wartete.
»Stilcho«, flüsterte der Stiefsohngeist; und Stilcho, aus seinem Bett im Haus vertrieben (seit kurzem zurückgewiesen und einsam im Haus der Hexe), schrak aus seiner Niedergeschlagenheit auf und hob den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher