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Armegeddon Rock

Armegeddon Rock

Titel: Armegeddon Rock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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die Verletztheit und der Schmerz eines einzigen Menschen, die ganze Bitterkeit und Unsicherheit und Furcht, die in Rick Maggio lebendig waren und jetzt mit Macht wieder herauskamen.
    How I’m ragin’, sang Maggio.
    RAGIN’! antworteten sie und nahmen seinen Schmerz auf.
    Die Musik war heiß genug, daß man davon Blasen bekommen konnte.
    Maggio war genau im Fadenkreuz. Sandy ließ den Finger um den Abzug gleiten. Er konnte jetzt damit Schluß machen. Maggio war der Schlimmste von ihnen, dachte er. Ein schwacher Mann, ein bitterer Mann, ein Mann, der nicht wußte, wie man liebte, nur, wie man jemandem weh tat. Man würde ihn nicht vermissen. Nimm Maggio statt Hobbins, dachte er, und die Welt ist besser dran.
    RAGIN’! schrien sie.
    Im Zielfernrohr sah Maggios Schweiß fast wie Tränen aus. Sandy nahm den Finger vom Abzug. Nicht Maggio. Nein. So widerwärtig Maggio sein mochte, er war ein Unschuldiger. Er konnte ihn nicht töten, egal zu welchem Preis. Die Nazgûl waren hierbei Schachfiguren, alle, bis auf einen. Alle bis auf Patrick Henry Hobbins. Bei Hobbins wäre es etwas anderes, dachte Sandy. Das würde kein Mord sein. Schließlich war Hobbins bereits tot.
    Als Maggio sang, erschien Francie auf der Bühne, tanzte mit geschlossenen Augen herum und klatschte über dem Kopf in die Hände. Ihr Anblick, wie sie sich vor diesem riesigen X zur Musik bewegte, erzeugte in Sandy ein kaltes Gefühl.
    Als der Song zu Ende war und der Applaus schließlich abflaute, trat Hobbins wieder nach vorn. Die Scheinwerfer verengten sich, beleuchteten nur sein Gesicht, diese fahlweiße Maske und die flammendroten Augen. »Bluten euch schon die Ohren?« fragte er mit einem Grinsen.
    »NEIIIIIIN!« brüllten sie zurück.
    »Gut, gut«, sagte Hobbins. »Dann müssen wir wohl lauter spielen!« Die einleitenden Takte von »Survivor« brausten um ihn her auf.
    Well, he came back front the war zone all intact
    And they told him just how lucky he had been
    Es war der langsamste Song aus dem Album; Hobbins blieb an einer Stelle, während er sang. Sandy zielte auf ihn hinab. Das Fadenkreuz umrahmte die blasse, von weißen Haarsträhnen bedeckte Stirn. Jetzt? dachte er. Er zögerte und ließ das Gewehr dann sinken. Nicht jetzt. Es war nicht… war irgendwie nicht richtig. Es mußte später sein, bei einem anderen Song.
    Er sah auf. Über ihm leuchteten noch die Sterne, aber die Wolken zogen jetzt schnell heran und verschlangen sie einen nach dem anderen. Trotzdem würde es heute nacht kein Gewitter geben, keine wilden Blitzschläge, die das Dunkel durchschnitten. Das war eine andere Art von Wolken, dunkler, still, die wie Tinte über den Nachthimmel glitten. Mit ihnen kam die Kälte, und eine Stille und ein Schweigen, das selbst die Musik der Nazgûl zu verschlucken drohte.
    Sandy ertappte sich dabei, daß er sich diese Musik jetzt anhörte, ihr kurze Zeit wirklich zuhörte und jeden Gedanken an das beiseite schob, was er in einer Minute oder zwei oder zehn tun mußte. Der Song war so traurig wie Liebeskummer, und so unausweichlich. Die Musik hatte etwas Machtvolles an sich. Was sie sonst auch immer sein mochte, die Nazgûl waren immer noch eine verteufelt gute Rockband. Sie berührten ihn jetzt, wie sie ihn zum erstenmal vor vielen Jahren berührt hatten, als er ihre ersten Platte als Teenager auf seinem ersten Plattenspieler gehört hatte. Seine Eltern verstanden es nie. Sie konnten niemals die Freude im Rock hören, das Leben, das in ihm steckte, die Schönheit. »Lärm«, nannte es sein Vater. Seine Mutter, die zu viele Treffen der Eltern-Lehrer-Vereinigung PTA und zu viele Gottesdienste besuchte, war schlimmer. »Teufelsmusik«, pflegte sie barsch zu sagen. Er mußte seine Doors-Platten vor ihr verstecken.
    Sandy dachte an Jamie Lynch, der in der Nacht, an einen Schreibtisch gefesselt, seine Angst hinausgebrüllt hatte und auf einem Konzertplakat verblutet war. Er dachte an die Teenager, die im Gopher Hole verbrannt waren, die gegen verschlossene Türen geschlagen hatten, während das Metall glühend heiß wurde und der Rauch um sie herum aufstieg. Er dachte an Balrog, dem man in einer Gasse den Hals aufgeschlitzt hatte, an das Blut in Edan Morses Augen und an das Geräusch, das Gorts Genick gemacht hatte, als es brach. Vielleicht hatte sie recht gehabt, dachte er.
    Aber die Musik strömte aus den riesigen Lautsprechern hinter ihm, ein Song, der sanft dahinfloß, der ihn verfolgte und ihn dazu brachte, daß er weinen und toben und die Dinge

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