Arno-Linder 1: Papierkrieg
das wissen Sie besser als ich.«
»Für mich ist das, und bleibt es auch, Erpressung.«
»Warum immer so negativ? Ich bewahre Ihre Tochter vor Unannehmlichkeiten. Sehen Sie mich eher als Kindermädchen. Über das hinaus, was ich jüngst geleistet habe, werde ich auch weiterhin alles mir Mögliche tun, um den Ausgang der Ermittlungen von Ihrer Tochter wegzulenken …«
»… und wenn das gutgeht, erwarten Sie eine kleine Erkenntlichkeit meinerseits«, vollendete er meinen Satz.
»So in etwa hätte ich mir das gedacht.«
»Warum sollte ich mich in einem solchen Fall nicht nach professioneller Hilfe umsehen?«
»Niemand würde für ein bisschen Geld so ein Risiko eingehen.«
»Aber Sie schon. Irgendwie nehme ich Ihnen nicht ab, dass Sie so ein harter Kerl sind.«
»Wir Philologen sind Tänzer am Rande des Vulkans, Buhlen der Gefahr. Wir genießen das Adrenalin, denn bereits ein einfacher Beinbruch oder eine kariesbedingte Zahnextraktion kann das Ende der Existenz bedeuten. Als Externer Lektor kommt man nicht in der Genuss einer Krankenversicherung, auch Pension und Sozialversicherung kennen wir nur vom Hörensagen.«
Zum ersten Mal bekam sein Panzer aus Selbstsicherheit einen Riss. Er runzelte die Stirn. Ich fuhr ungerührt fort: »Wie der berühmteste Vertreter meiner Zunft sagte: Das glatte Eis ist Paradeis, für den, der drauf zu laufen weiß …«
Ich hatte dick aufgetragen, aber er schien mir genau der Typ dafür zu sein.
Meyerhöffer holte ein Zigarettenetui nebst Feuerzeug aus einer Schreibtischschublade, zündete sich umständlich den Glimmstängel an und inhalierte tief. Dann nahm er den Aschenbecher mit den Fetzen meiner Karte, lehnte sich zurück und verbrannte das Papier.
»Gut. Ich denke, bis zum Abschluss der polizeilichen Ermittlungen brauchen wir voneinander nichts mehr zu hören. Anschließend können Sie sich ja bei mir melden. Kontakt mit meiner Tochter verbietet sich von selbst. Besondere Gewissenhaftigkeit muss ich Ihnen wohl nicht ans Herz legen« – seine Fassade begann weiter zu bröckeln, die kultivierte Modulation machte einer Mundart Platz, die nach Dosenbier und Hundepisse roch – »wenn Sie pfuschen, bin ich meine Lizenz los und Sie gehen in den Knast. Und darauf können Sie sich freuen, denn wenn ich Sie vorher in die Finger kriege …«
Er zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher auf seinem Schoß, als ob sie ein widerliches Insekt wäre. Dazu hatte er eine böse Miene aufgesetzt, das Frau Gräulich draußen wahrscheinlich zum Seelendoktor treiben würde. Ich probierte nur mein unverschämtestes Lächeln, dasselbe, das ich meinem Klassenvorstand gezeigt hatte, als er eine Woche vor den Abschlussprüfungen meinte: »Linder, die Matura schaffen Sie nie!« Mit gekräuselten Lippen stand ich auf, wartete nicht mehr auf seine Reaktion und schloss die Tür von draußen. Im Vorzimmer saß noch immer Fräulein Gräulich vor ihrem Computer und legte Patiencen. Neben ihr stand ein Teller mit Croissants, ich schnappte mir zwei, warf ihrem erbosten Antlitz eine Kusshand zu und war schon draußen.
Unten saß noch immer der Sicherheitsmann, an dem das Leben immer noch vorbeizog, der immer noch mit seinem Schocker spielte, und draußen war es immer noch zum Fürchten kalt.
IV
Es war viertel vor elf, ich hatte also noch etwa eine Stunde, bis ich mich mit Reichi treffen sollte. Die Zeit vertrieb ich mir in der Nationalbibliothek, recherchierte etwas im Internet, blätterte Zeitschriften durch und wusste danach ein bisschen mehr über den Anwalt und dessen Töchterchen.
Danach machte ich mich auf zum Bräunerhof. Witzigerweise liegt er direkt neben der Kanzlei, aber da ich ja schon den ganzen Tag mit einer Mordwaffe unterwegs war, von Laptop und iPhone nicht zu reden, kam es auf das bisschen Unvorsichtigkeit auch nicht mehr an. Mit Hybris strafen die Götter, wen sie verderben wollen. Geld hatte ich auch keines mehr, hoffentlich würde Reichi zahlen.
Das Café zum Bräunerhof ist verraucht, die Möbel sind durchgesessen, die Bezüge fadenscheinig, die Bedienung unfreundlich. Doch wie alle anderen großen Cafés auch hat es einen ganz eigenen Charme. Es ist still, nur das Rascheln des Zeitungspapiers singt im Duett mit dem hellen Klirren des Steinguts auf den silberglänzenden Servierplatten. Es riecht nach Tabak und Kaffee, einer ästhetischen Kombination, die nur der von Speck mit Eiern ebenbürtig ist. Als Sahnehäubchen sind aber die Ober zu nennen. Gekleidet in Schwarz und
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