Arschloch!
Bestätigungs-E-Mail vier Tage. Als Lieferadresse gebe ich unser Callcenter an.
Zuhause weiß ich auch gleich etwas mit meiner Zeit anzufangen. Ich schließe meine Kamera über das Netzteil an, lade den Akku und beginne etwas zu filmen. Etwas völlig anderes als sonst. Etwas mit Niveau. Etwas künstlerisch Wertvolles. Ich bin ja Künstler. Ich montiere meine Kamera auf dem Stativ, richte sie auf die Türklinke meiner Wohnungstür aus, stelle den Aufnahmenmodus auf >Sepia< und checke das Bild ab. Die Türklinke meiner Wohnzimmerglastür, eine hochwertige Garnitur im modernen Design mit 3-teiliger Schraubrosette, sieht so ganz aus der Nähe fantastisch aus. Ich starte die Aufnahme und gehe rüber in die Küche, in der ich mir einen Joghurt mit der Knusperecke aus meinem Kühlschrank nehme. Kurz nachdem ich die Knusperecke umgeschlagen habe, klingelt mein Telefon. Auf dem Display steht >Unbekannt<. Ich schalte das Licht in der Küche aus, nehme das Gespräch an und gehe in mein Wohnzimmer.
„Hallo Moritz!“
Es ist tatsächlich eine Unbekannte. Es ist meine Mutter.
„Hi Ma.“
„Wie geht‘s?“
„Gut!“
„Mir auch. Ich bin wieder in Düsseldorf!“
„Tatsächlich?“
„Und heute Abend treffe ich mich mit Fred.“
Als ich mich in mein Wohnzimmer begebe schlage ich die Tür leicht gegen das Stativ auf dem die Kamera montiert ist und filmt. Es wackelt. Mist.
„Den kenne ich noch von der Schule.“
Sie hat also schon wieder einen Neuen. Ich lasse mich auf mein schwarzes Ledersofa fallen.
„Wie schön!“, sage ich.
„Ja, ich freue mich total!“
„Ja, dann mal einen schönen Abend! Ich muss Schluss machen. Ich bin mit einer wunderschönen Frau verabredet!“, sage ich, obwohl ich nichts vorhabe.
„Dann telefonieren wir einfach bald wieder. Einen schönen Abend!“
„Danke, dir auch!“
Ich beende das Gespräch, stoppe die Aufnahme und überprüfe das Bild.
Es herrscht absolute Regungslosigkeit. Nur zweimal wird diese Ruhe unterbrochen: Einmal sieht man, wie sich die Lichtverhältnisse ändern, was daran liegt, dass ich das Licht in der Küche ausgeschaltet habe. Beim anderen Mal wackelt die Kamera, weil ich aus Versehen die Tür gegen das Stativ gehauen habe. Ich setze mich an meine Krücke von Laptop und lade den Film auf die Festplatte, die dabei komische Geräusche macht. Der Film ist 15 min lang und ich taufe ihn auf den Namen >Die Tür des Lebens<.
Während ich den Film abspeichere, kommt mir eine Idee und ich gehe auf die Internetseite von Kopernikus. Eine Sache interessiert mich nämlich brennend. Da das ganze Wissen, das tagtäglich wie Schrot auf mich geballert wird, mein Hirn löcherig werden lässt, wie ein Sieb, begebe ich mich ins Internetforum von Kopernikus und verfasse einen neuen Themenvorschlag, den sie mal verfilmen sollten.
Wie wird eigentlich der leckere und herzhafte Aufschnitt Schweinskopfsülze hergestellt?
Nachdem ich den Vorschlag im Forum gepostet habe, werfe ich einen kurzen Blick auf mein Bankkonto. Obwohl der Käufer meines alten Laptops überwiesen hat, was auch höchste Zeit wurde, sieht es auf meinem Konto grässlich aus. Nicht auszuhalten und deswegen logge ich mich auch gleich wieder aus und checke meine E-Mails. Leider habe ich immer noch keine Nachricht der Powerbook-Verkäuferin, obwohl das Geld schon seit Wochen bei ihr eingegangen und das Paket angeblich auf dem Postweg ist. Ich kontaktiere sie erneut und male mir das Schlimmste aus. Was mache ich bloß, wenn ich abgezogen wurde? Ich kann dann nicht einmal eine schlechte Bewertung abgeben, weil die blöde Fotze dann eh gesperrt ist. Es ist zum verrückt werden. Scheiß Ebay!
Ich logge mich in meiner Community ein und sehe, dass Anne online ist. Leider kann ich sie nicht von hier aus kontaktieren, sondern muss woanders hin. Nachher bekommt sie noch meine IP-Adresse heraus und die Kacke ist am dampfen. Ich ziehe mir meinen Mantel über meinen Satin Pyjama und lege mein Handy auf meinen Couchtisch. Das bleibt zu Hause, denn dann kann man mir im Bewegungsprotokoll nichts nachweisen. Unbeobachtet geht‘s los zur Warendorferstraße. In ein Internetcafé.
Nachdem ich mich als Martin in der Community eingeloggt habe, erhalte ich eine Sofortnachricht von ihr. Ohne Aufforderung. Und gleich darauf erreicht mich die nächste. Und das obwohl sie sich nicht ein einziges Mal im Leben begegnet sind.
Ihre Mutter war eine hübsche Frau. Sie war talentiert. Sie war intelligent. Sie konnte charmant sein. Sie
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