"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
jedes gewählten Politikers. Ich weiß nicht, warum mich diese kleine weißhaarige Dame so anrührt, die seit 60 Jahren mit eiserner Selbstdisziplin ihre Pflichten wahrnimmt. Jedem Premier von Winston Churchill bis Tony Blair, jedem Bundeskanzler von Konrad Adenauer bis Angela Merkel die Hand geschüttelt hat. Die Welt dreht sich immer rasanter, aber im Buckingham-Palast steht die Zeit still. Ich gebe zu, dass ich ein bisschen verliebt in »meine Königin« bin. Das ganze Land hat so
ein bisschen etwas Miss-Marple-Mäßiges, Verhutzeltes, Verstaubtes. Globalisierung und Bärenfellmütze. Hinter den Glasfassaden der Bankenpaläste in der City mögen die Lichter ausgehen – aber die Gardisten vor dem Buckingham-Palast werden immer noch Gewehre und Degen präsentieren. Wenn man jeden alten Zopf abschneidet, hat man nichts mehr, woran man sich festhalten kann, wenn die Welt rundherum in Unordnung gerät.
Allein durch den Verzicht auf Kreditkarten habe ich meine Ausgaben halbiert. Ohne mich bewusst einzuschränken.
Ich nehme die Socken aus dem Trockner und lege sie zusammen. Ich beglückwünsche mich zu meinem Einfall, nur schwarze von einer Sorte gekauft zu haben. 800 Pfund in bar habe ich heute von der Bank geholt. Ein fettes Bündel 20er-Scheine. Echtes Geld. Kein Plastik mehr ab jetzt, nur noch Cash auf die Hand. Ich bin überzeugt, dass ich eine Menge Geld spare, wenn ich auf meine Kreditkarte verzichte; so eine Unterschrift ist ja kein richtiges Geld. 800 Pfund, damit will ich einen Monat lang auskommen. Als Zahl auf einem Kontoauszug ist das geradezu lächerlich – ich bin normalerweise froh, wenn ich meinen Monat mit nur 800 Pfund Miesen abschließe. Als lustig knisterndes Scheinebündel ist es ziemlich substanziell.
Tag 20 (oder so) – Gelassen und zufrieden
Michael Ballack kann verletzungsbedingt schon wieder nicht für Chelsea spielen. Der BBC-Reporter verbirgt die Häme über das deutsche Weichei kaum. Fußball im
Radio hat einen besonderen Zauber – und ich bin voller Bewunderung für die Reporter, die 90 Minuten ununterbrochen reden müssen, weil da kein Bild ist, das man mal einen Augenblick unkommentiert stehen lassen könnte. Die mit ihren plastischen Schilderungen dieses Bild erst in meinem Kopf entstehen lassen. Die Balkontür steht weit auf und lässt warme Sommerluft hinein, die sich überschlagende Reporterstimme mischt sich mit Vogelgezwitscher und dem fernen Lärm der Straße, ich sitze am Küchentisch und schnippele Gemüse. Ein perfekter Samstagnachmittag.
Der Tag fing schon gut an, die Waage zeigte ihr freundlichstes Gesicht. Das ganze Wochenende liegt vor mir. Ich werde die Schatzinsel im Garten zu Ende lesen, einen langen Spaziergang machen. Morgen Vormittag will ich mit dem Themseboot nach Greenwich ins Marinemuseum fahren und nachmittags ausgiebig in der Sauna abschwitzen. Ich war früh auf dem Markt, habe mit den Marktfrauen über ihr Gemüse gesprochen und dem Käsemann beim Witzeerzählen zugehört. Ich kaufe bei ihm wie immer viel zu viel, weil ich mich durch seine Bekanntschaft geehrt fühle. Der Fleischer ist als Kind mit seinen Eltern aus Österreich eingewandert, aber das einzige deutsche Wort, das er kennt, ist »Lederhosen«.
Früher habe ich das Einkaufen gehasst und es möglichst schnell hinter mich gebracht. Inzwischen freue ich mich auf meine Marktrunde am Samstagmorgen. Manchmal gehe ich mit einer Einkaufsliste für ein bestimmtes Rezept los und komme mit völlig anderen Zutaten zurück. Weil der Fischhändler mir Saibling statt Forelle empfiehlt und der Gemüsehändler Majoran für
zu dominant hält: »… erschlägt den zarten Geschmack des Saiblings. Glatte Petersilie, ein bischen Knoblauch, etwas Butter, in der Folie gegart – ein Gedicht.« Dinge bewusst zu tun – auch die kleinen Dinge des Alltags – gibt dem Leben eine ganz neue Qualität. Hampstead ist ein nettes Viertel mit kleinen Geschäften. Auf dem Rückweg hole ich an immer demselben Kiosk meine Zeitungen – der Inhaber hat sie schon bereitgelegt. Wir plaudern kurz über das Fußballspiel am Nachmittag und er sagt, dass Ballack ein guter Mann ist – vermutlich weil ich Deutscher bin.
Ich setze das Suppenhuhn in kaltem Wasser auf und schütte klein gehackte Möhren, Sellerie, Lauch und Champignons auf. Es ist nicht das richtige Wetter für Hühnersuppe, aber heute Morgen bin ich mit dem Bild der Hühnersuppe meiner Mutter aufgewacht, dem intensiven Aroma und den glänzenden Fettaugen, sodass ich
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