"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
Satellitentelefon. Es wog 100 Kilo, bestand aus drei Koffern und hatte eine regenschirmgroße Antenne zum Aufspannen. Es brauchte eine 220-Volt-Steckdose, was in Krisengebieten mitunter problematisch war. Rückblickend erscheint mir das alles unendlich mühsam und anstrengend, aber damals war es völlig normal.
Captain Cook hat sechs Monate bis Tahiti gebraucht – heute bist du mit dem Flugzeug in 18 Stunden dort. Noch für meine Oma war ein Waschtag wörtlich zu nehmen. Sie haben ein Kohlenfeuer unter dem Kessel gemacht und auf Steinen am Bach die Wäsche gebleicht. Ich erledige das nebenher, während ich in der Mikrowelle das Abendessen aufwärme, und checke gleichzeitig meine Mails. Ich hänge nicht mehr stundenlang in der Warteschleife von Telefonauskunft oder Bundesbahn – sondern kann meine Fahrkarte vom Wohnzimmersessel aus buchen und bezahlen. Ich muss nicht zu Hause bleiben, wenn ich einen Anruf erwarte. Ich sitze im Restaurant und rufe meine Mails ab, kann sogar Überweisungen von meinem Konto machen, telefoniere, simse und bin ständig auf dem Laufenden und mit aller Welt in Kontakt. Sogar auf meinem Boot, wenn ich will.
Ständig erreichbar zu sein, immer auf Empfang – das macht dich huschig. Du solltest dir nicht freillig alle Rückzugsorte verbauen.
Ich hätte diese Nacht mit Faust auf meinem Boot so nicht erlebt, wenn ich das Handy eingeschaltet gelassen hätte. Ständig empfangsbereit, in Hab-Acht-Stellung, nicht wirklich weg. Ich hätte mich mit Britta gestritten. Aber nichts gelöst am Telefon. Manche Dinge brauchen Zeit und Raum, ein Stück Abstand für die bessere Übersicht. Es ist mir nie aufgefallen, wie kräftezehrend unsere Kämpfe sind, solange wir noch tief drinstecken. Ich habe keine Ahnung, was passiert, wenn ich Britta wiedersehe. Aber ich bekomme Magenfeeling, wenn ich daran denke. Ich fühle mich sehr entspannt mit mir allein. Führe ein durch und durch angenehmes Leben. Aber wird das so bleiben, wenn ich mich von Britta trenne? »Trenne«! Es ist das erste Mal, dass ich dieses Wort so deutlich denke. Es macht mir Angst. »Alleinsein«, las ich kürzlich, »ist das schönste Gefühl, wenn man es kann, und das Schrecklichste, wenn man es muss.« Aber vermutlich ist das Alleinsein gar nicht das Schlimmste – sondern Passivität und Unaufmerksamkeit.
Solange wir noch tief drinstecken, fällt uns nicht auf, wie kräftezehrend unsere Kämpfe sind.
»Ich habe dich gestern den ganzen Tag nicht erreicht …« Man macht sich verdächtig, wenn man sein Handy abschaltet. Hat er womöglich was zu ver-bergen?Aber gelegentlich gönne ich mir diese Oasen der Unerreichbarkeit,
um ungestört nachzudenken, wenn ich spazieren gehe, oder um mich beim Einkaufen ganz und gar der Vorratsbeschaffung hinzugeben. Einen kleinen Plausch mit der Kassiererin zu halten – statt rechts das Handy am Ohr, während ich mit der Linken in wilden Verrenkungen die Brieftasche aus der Tasche nestele. Jedenfalls tut es ganz gut, gelegentlich mal den Stecker rauszuziehen. Das Hintergrundrauschen auszuschalten. Das ist wie mit den zarten Aromen der Hühnersuppe, die du nicht mehr schmeckst, wenn du dir die Geschmacksnerven mit Türensuppen und Aromaverstärker verklebst. Wenn du dich ständig mit Lärm zudröhnst, hörst du die leisen Stimmen in dir nicht mehr. Willst sie vermutlich auch nicht hören. Viele Leute kennen das ja gar nicht mehr: Mit einem guten Buch in der Sonne zu liegen und ganz weit weg zu sein. Sie sind immer voll da: Verpassen keinen Anruf, keine SMS, keine Mail. Ständig auf Empfang zu sein, das macht dich huschig. Du solltest nicht freiwillig alle Rückzugs- und Zufluchtsorte preisgeben.
»Wer immer erreichbar ist, gehört zum Personal«, sagte der Publizist Johannes Gross.
»Wer immer erreichbar ist, gehört zum Personal.« (J. Gross)
Ich bekomme übrigens keine Ansichtskarten mehr. Dafür immer öfter SMS à la »Sitzen gerade auf dem Markusplatz. Herrliches Wetter. Sehr entspannt.« Oder: »Stehen auf dem Empire State Building. Fantastische Aussicht. Cu Betty.« Ich stelle mir dann vor, wie Dutzende Menschen auf der Aussichtsplattform des Empire State Buildings oder Eiffelturms stehen und hektisch in ihre
Handys tippen, um die Daheimgebliebenen an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Das ist ziemlich komisch. Aber ich bekäme trotzdem lieber eine Ansichtskarte. So eine mit einem absolut kitschigen Sonnenuntergang über dem Gardasee und einer Briefmarke der italienischen Post. Oder eine aus New
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