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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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lohnt. Ob es auf Dauer preiswerter ist, steht auf einem anderen Blatt. Erst recht, wenn ich die Vernichtung
von menschenwürdigen Arbeitsplätzen mit sozialen Standards dazuaddiere. Selbstbewusste Handwerker und Arbeiter, die sich ihrem Produkt verbunden fühlen und ihm durch ihr Können und ihre Leidenschaft eine Seele verleihen.
    Klasse statt Masse – darauf läuft es hinaus. Ein wenig mehr Achtung und Respekt vor sich selbst und vor dem Wert der Dinge. Bewussteren Umgang mit meinen Ressourcen. Ob ich wertvolle rahmengenähte Schuhe mit guter Pflege erhalte oder Menschen für anständige Arbeit anständig bezahle. Mitgeschöpfe nicht zu industriellen Massenprodukten degradiere. Man braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich vorzustellen, was es für das kurze Leben eines Schweins bedeutet, dessen Fleisch für 3 Euro das Kilo verramscht wird. Kürzlich las ich ein Interview mit einem Koch, der für die Rückkehr zum teuren Sonntagsbraten plädierte. Ein größerer Genuss ist es allemal, gesünder ist es ohnehin, nicht täglich Fleisch zu essen. Und Geld spare ich auch, wenn ich es nicht mehr für Ramsch zum Fenster hinauswerfe. Das wirft die interessante Frage auf, worauf ich eigentlich gerade »verzichte«.
    Tag 17 – God save the Queen
    Ich habe die Königin gesehen! Nein, ich habe nicht mit ihr gesprochen und ihr auch nicht die Hand geschüttelt – aber ich konnte einen kurzen Blick auf sie erhaschen, als die goldene Kutsche am Journalistenstandplatz in Westminster vorbeirollte. Gefolgt von den berittenen Gardisten mit Rosshaarbüscheln auf blitzenden Helmen und gezückten Säbeln und Dienern in goldbetressten scharlachroten
Uniformen. Ich komme mir vor wie in einem opulenten Historienfilm – aber es ist alles echt. Unter den Bärenfellmützen stecken keine Schauspieler, sondern echte Soldaten mit echten Gewehren und echter Munition. Sogar die Königin ist echt. Kein Touristenspektakel, sondern gelebte Tradition. Völlig anachronistisch und aus der Zeit gefallen – aber deshalb umso überzeugender.
    Sie machen einfach weiter – als wären inzwischen nicht Jahrhunderte vergangen. Hinter dem hufklappernden Tross aus der Vergangenheit staut sich der Verkehr, Bobbys mit altmodischen Helmen und neongelben Plastikwesten bemühen sich um Ordnung. Endlich ist die Kutsche der Königin im Tor zum prachtvollen Parlamentsgebäude eingebogen. Einmal im Jahr kommt sie ins Oberhaus und spricht vor dem Parlament. State opening . Und ich – Holger aus der nordhessischen Provinz – hatte das Glück, bei der Verlosung der knappen Pressekarten für Auslandsjournalisten eine zu gewinnen und habe die Königin keine 15 Meter von mir entfernt vorbeifahren sehen. Im Keller des Parlaments suchen jetzt die Beefeater genannten Torwächter nach Sprengstoff. Keine wirkliche Sicherheitsmaßnahme, sondern Teil des Zeremoniells. Seit der Offizier Guy Fawkes im 17. Jahrhundert ein Attentat auf König Jakob I. verübt hatte, machen sie das so. Dann klopft ein Hofdiener an die Tür des Oberhauses – die Königin darf das Parlament nicht einfach so betreten, sondern muss um Einlass bitten. Die Unterhausabgeordneten, die die echte Politik machen, strömen herein – Straßenanzüge vermischen sich mit purpurnen Roben und weißen Lockenperücken. »My government
and I …« beginnt die Queen mit ihrer diamantbesetzten Staatskrone die Regierungserklärung. »Meine Regierung und ich!« Es ist die Rede des Premierministers, in der dieser die politischen Ziele und Gesetzesvorhaben seiner Regierung zusammenfasst – und die Königin verliest sie. Die Krone verneigt sich vor der Demokratie. Anschließend verlässt die Königin mit ihrem Gefolge das Parlament – und die Journalisten im Fernsehen, im Radio und in den Zeitungen analysieren die Regierungserklärung. Sachlich, politisch, inhaltlich – ohne die Königin groß zu erwähnen.
    Es ist nicht einfach, meinen Hörern zu Hause die Rolle der Monarchie nahezubringen. Die Deutschen sind ganz verrückt auf Nachrichten aus dem Königshaus und die Eskapaden der Royal Family. Für die Briten ist es ein Teil ihres Alltags, es gehört einfach dazu … sie finden das völlig normal, dass ihr Staatsoberhaupt in einer Märchenwelt im Buckingham-Palast lebt und eine Königin ins Parlament kommt und die Regierungserklärung des Premiers vorliest und dass zu ihrem Geburtstag God save the Queen im Radio gespielt wird. Auch wenn die Königin keine politische Macht hat – ihr Wort hat mehr Gewicht als das

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