"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
Wachteln – alles prächtige Viecher. Aber an Vielseitigkeit, Wirtschaftlichkeit und in jener Eigenschaft, die dem Esser – neben dem Staunen und der Ehrfurcht vor der Kostbarkeit des Essens – die wahre sinnliche Befriedigung verschafft, in dieser Eigenschaft, der zwar unpräzise, aber doch unmissverständlich das Adjektiv ›lecker‹ zugeordnet ist, da ist das Huhn allen anderen überlegen.« Ein Satz wie bei Proust. Ich finde Siebeck grandios. Dieses altmodisch Gedrechselte, dieser Anflug von Arroganz, Essen als Religion – das ist nichts, was man jeden Tag haben möchte. Aber Leidenschaft – für was auch immer – beeindruckt mich stets. Zur Feier des Tages will ich eine Poularde in Riesling zubereiten. Die schönsten Stunden des Tages verbringe ich in der Küche. Mein Alltag fällt von mir ab. Ich denke selten bewusst über konkrete Probleme nach, wenn ich am Herd stehe, und gebe mich ganz den Sinnesreizen hin, mit denen Zunge, Nase, Auge und Haut meine Synapsen überschwemmen. Es sind ganz elementare Gefühle und Triebe: Lust, Gier, Vorfreude, Genuss. Mein Hirn ist auf Stand-by geschaltet und liefert ein leises Hintergrundrauschen. Ziellos kommen und gehen Gedanken, manchmal dringt einer durch ins Bewusstsein und verfestigt
sich zu einer Idee – aber meist verlieren sie sich wieder ziellos in den endlosen Weiten meines Geistes. Ich bin ganz bei mir.
Ich muss ein ganzes Huhn mitsamt Knochen in Stücke hacken. Nur für den Soßenfond. Das ist eine unendliche Sauerei, aber auch sehr archaisch, wie das Beil Fleisch und Knochen zertrümmert. Scharf anbraten. Klein geschnittene Möhren, Pilze, Lauch, Knoblauch, Zwiebeln dazu. Ablöschen mit Weißwein. Wie das zischt! Da der Alkohol im Wein sowieso verkocht, betrachte ich es nicht als Verstoß gegen das Abstinenzgebot. Und welch schönere Verwendung könnte ich für meine trockene rheinhessische Spätlese wohl finden, gemäß der Siebeck-Maxime: »Wer bedauernd an den schönen Wein denkt, den er da verkochen lässt – diesem Geizhals wird nie eine anständige Soße gelingen.« Anderthalb Stunden köcheln lassen, durch ein Sieb gießen, kalt stellen. Später den gestockten Fettdeckel vom Fond abnehmen, denn »auch wenn es gute Butter war, so ist es dennoch erhitztes Fett und das hat in der Hochküche auf dem Teller nichts zu suchen«.
Ach je, und dieses lächerliche Viertelliterchen ist all der Mühen Lohn? Wieder erhitzen. Sahne, Thymian, Zitrone dazu, noch mehr Wein, noch mehr Sahne. Oh Mann, was für ein Wohlgeruch, mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Backofen vorheizen, Hühnerschenkel, Brust und Flügel bei niedriger Temperatur in Butter anbraten (Siebeck: »Vollgas? Beim Kochen ist eine Geschwindigkeitsbegrenzung schon immer die bessere Taktik gewesen.«) Trotzdem schlägt mir – nachdem ich wirklich nur zwei Minuten im Bad war – beißender Qualm
entgegen, als ich zurück in die Küche komme. Fest angebrannt im Bräter, dessen Boden sich schwarz verfärbt und gewellt hat, trotz der mäßigen Hitze – ein Klassiker zum Wegschmeißen. Dabei habe ich den Bräter erst vor vier Wochen im Supermarkt gekauft. Ein Schnäppchen. Rostfreier Edelstahl für umgerechnet 15 Euro. Natürlich müsste einem der gesunde Menschenverstand sagen, dass nicht mal nordkoreanische Häftlinge für 15 Euro einen anständigen Edelstahltopf herstellen können. Jedenfalls ist mir jetzt zum zweiten Mal ein Essen angebrannt, weil der Boden von diesem Ding viel zu dünn ist, um die Temperatur ordentlich regulieren zu können, und an den Henkeln verbrennt man sich die Finger. »Wer billig kauft, kauft zweimal«, sagte meine Oma. So wie die beiden Anzüge aus der Sonderaktion: Der zweite zum halben Preis, wo schon der erste nicht wirklich gut saß, aber die Gelegenheit war halt zu günstig. Jetzt machen sie vermutlich einen Obdachlosen glücklich. Die wundervolle Lederjacke, zu der ich mich in den Neunzigern durchgerungen habe, macht mir dagegen heute noch Freude. Und auch das Leitz-Fernglas, das ich mir nach bestandener Jagdscheinprüfung gegönnt habe. 2000 Mark hat es gekostet, ich habe schwer geschluckt. 20 Jahre später nutze ich es auf meinem Boot. Es liegt schwer und solide in der Hand und die Mechanik bewegt sich so wunderbar leichtgängig, dass es eine Freude ist. Vermutlich wird noch mein Enkel daran Spaß haben. Natürlich tut es das 90-Euro-Teil aus China auch. Wenn es kaputtgeht, schmeiße ich es weg und kaufe billig ein Neues – weil sich eine Reparatur nicht
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