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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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auf das Wetter keine Rücksicht nehmen kann. Manchmal packt mich diese Lust auf deutsche Hausmannskost, die Gerichte meiner Kindheit. Kasseler mit Sauerkraut oder Grüne Soße oder rheinischer Sauerbraten – vielleicht ist es eine milde Form von Heimweh.
    Die Suppe kocht sich jetzt die nächsten Stunden von allein. Ich gehe mit gut zwei Pfund Zeitungen in den Garten, beginne mit den Schauergeschichten in der Sun und arbeite mich vor bis zu den politischen Kommentaren im Guardian . Zeitungslektüre ist in diesem Land ein echtes Vergnügen. Neun große Blätter konkurrieren um die Lesergunst, und wenn ihre Geschichten auch nicht immer wahr sind, so sind sie auf alle Fälle sehr unterhaltsam.

    Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, als ich das Huhn aus der Brühe nehme – das Fleisch so zart, dass es fast von selbst vom Knochen fällt. Ich führe den Löffel zum Mund, puste auf die heiße Suppe – und bin enttäuscht. Sie schmeckt so fad und blass, wie sie aussieht. Ich werfe einen Brühwürfel in den Topf – schon besser. Aber ich komme mir betrogen vor. Wieso koche ich stundenlang ein ganzes Huhn, wenn ich am Ende Suppenwürfel reintun muss? Waren die Hühner früher anders? Oder habe ich mir einfach schon die Geschmacksnerven mit Maggi und Co. verdorben? Mit der Grünen Soße ging es mir neulich ebenso. Dabei war es ein Rezept von Goethes Mutter. Sieben Kräuter müssen da rein. In Frankfurt bekomme ich die in Zeitungspapier fertig verpackt, sozusagen das »Grie-Soß-Sorglos-Paket« – es ist schließlich ein Nationalgericht. Hier muss ich die Kräuter erst mühsam zusammensuchen. Borretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch. Und was heißt eigentlich Pimpinelle auf Englisch? Das Ergebnis hatte jedenfalls nichts zu tun mit der Grie Soß meiner Kindheitserinnerung. So blass wie jetzt meine Hühnersuppe. Vielleicht sollte ich noch einen Brühwürfel reinschmeißen? Oder meine Geschmacksknospen wieder an zarte Aromen und feine Nuancen gewöhnen. Wow – das sind wirklich schwerwiegende Probleme! Wenn es in meinem Leben in dieser Größenordnung weitergeht, kann ich nicht meckern.
     
    Tag 21 – Muss man wirklich immer erreichbar sein? Ich bin mit dem Themseboot nach Greenwich gefahren. Der Fluss glitzerte in der Sonne und der Tower stand als
Schattenriss vor dem gleißenden Himmel. Engländer mit purpurroten Gesicherten und sehr guter Laune trinken literweise Bier aus Plastikbechern. Dann durch die kühlen, schattigen Säulenhallen der früheren britischen Marineakademie wandeln. Die protzigen Deckengemälde und der riseige Speisesaal, in schon Nelson als Kadett gegessen hat. Hier ist auch das bedeutendste Marinemuseum der Welt, das National Maritime Museum. Nelsons Uniformrock hängt hier, den er bei Trafalgar getragen hat. Seiner ruhmreichsten Schlacht, die Englands Vorherrschaft auf den Meeren endgültig besiegelte. Unter der Achsel von Nelsons blauem Rock mit den vielen Litzen und Messingknöpfen ist ein Riss. Dort traf ihn die Kugel, zerschmetterte sein Rückgrat und blieb irgendwo in Hüfthöhe stecken. Ein Zufallstreffer. In der Stunde seines größten Triumphes. Tödlich verwundet lag er unter Deck und hörte oben seine Männer jubeln. Oder da ist das Tagebuch vom Schiffsarzt der Bounty, Zeitzeuge der berühmten Meuterei. Er ist mit Captain Bligh von den Meuterern im offenen Boot ausgesetzt ausgesetzt worden und dann 6000 Kilometer über den Ozean gereist. Eine Karte, die der berühmte James Cook vom Sankt-Lorenz-Strom gezeichnet hat. Zwei Jahre war er in der Südsee unterwegs – zwei Jahre, in denen seine Frau ein Kind geboren und eines begraben hat. Kein Funk, kein GPS, kein Weltempfänger – nichts, die waren wirklich weg, weiter weg geht nicht. Faszinierend und unvorstellbar, dieses Leben von Männern, die ganz allein auf sich gestellt Verantwortung tragen und Entscheidungen über Leben und Tod treffen mussten. Ohne Information, ohne Rücksprache. Nur mit Erfahrung und Gefühl.

    Ich kann mir schon nicht mehr vorstellen, wie ich meinen Job ohne Internet und Handy gemacht habe. Dabei bin ich bin als junger Reporter noch mit einer Rolle Markstücke durchs Hessenland gefahren. Und wenn ich dann endlich eine Telefonzelle gefunden hatte, war die entweder kaputt oder akzeptierte nur Karten, aber keine Münzen. Ich habe nach Ceauşescus Sturz in Rumänien drei Stunden auf dem Postamt auf eine Telefonverbindung nach Frankfurt gewartet. Ich war sehr froh über das erste

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