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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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Problem. Wenn ich dann gerettet wurde, getrunken, gegessen und mich geduscht und allen Grund habe, sehr, sehr glücklich zu sein – dann rückt dieses andere Problem wieder nach oben und verhindert, dass ich glücklich bin. Je besser es dir geht, desto mehr Kapazität hast du, neue Probleme zu kreieren, mit denen sich Therapeuten befassen können. Die Tatsache, dass in Afrika Kinder hungern, macht meine vergleichsweise banalen Probleme für mich ja nicht besser. »Was kümmert mich Vietnam, solange ich Orgasmusprobleme habe?«, fragte Rainer Langhans einmal. Mich hat das Attentat vom 11. September 2001 auf das World Trade Center auch ziemlich kaltgelassen, weil mich gerade meine Freundin verlassen hatte. Und natürlich belasten mich die Schulprobleme meines Kindes mehr als der Bürgerkrieg im Kongo. Dafür muss man sich nicht schämen, könnte es aber gelegentlich ein bisschen mehr zu schätzen wissen, dass es uns im Großen und Ganzen recht gut geht. Und die Bedürfnishierarchie einfach umdrehen und sich über die schönen Seiten freuen – statt sich darüber zu ärgern, was gerade nicht so doll läuft.
    Je besser es dir geht, desto mehr Kapazität hast du, neue Probleme zu kreieren, mit denen sich Therapeuten befassen können.
    »Der Holger und ich waren zusammen im Krieg!« Irgendwann dürfte es jeder gewusst haben in diesem Pub, indem ich mit Jens-Peter die alte Kameradschaft hochleben ließ. »Wir waren zusammen im Krieg!« Das fanden
wir aus irgendeinem Grunde urkomisch. Vielleicht weil es so irreal ist. Wie zwei Veteranen, die gemeinsam gekämpft haben. Dabei sind wir nur ein paar Tage durch Kroatien gefahren – ein Agentur- und ein Radiojournalist, die sich zufällig in Zagreb in einer Hotelbar trafen und zufällig dasselbe Ziel hatten. Wir saßen viele Stunden im Auto, überspielten unsere Angst mit Witzen und erzählten von zu Hause. Abends lagen wir in unseren Schlafsäcken nebeneinander und quatschten uns in den Schlaf. Wir wussten eine Menge übereinander für zwei Menschen, die sich erst ein paar Tage kannten. Jens-Peter war mein Freund. Und das ist er geblieben, auch wenn uns heute wenig verbindet und wir uns womöglich erst in zehn Jahren wieder über den Weg laufen – aber dieses Band bleibt für immer bestehen. Das habe ich oft erlebt in meinen Jahren als Kriegsberichterstatter. Diese Gemeinschaft mit Kollegen, die das Erlebte zusammenschweißt und zu innigen Vertrauten, zu Freunden macht. Wenn ich an meine Zeit als Krisenreporter zurückdenke, fallen mir vor allem solche Begebenheiten ein. Ich erinnere mich an eine Zeit voller wilder Abenteuer. Und manchmal erschaudere ich, wenn mir klar wird, in welche Gefahr ich mich oft leichtfertig begeben habe. Aber Albträume von Leichen, Blut und Tod habe ich nie gehabt. Kann man das einfach hinter sich lassen? Die Frage ist mir oft gestellt worden. Von Freunden, Kollegen – auch von Therapeuten. Ich habe sie mir auch selbst gestellt, aber da gibt es weder etwas zu verarbeiten noch habe ich Traumata verdrängt. Da bleibt nichts außer Dankbarkeit, großer Dankbarkeit, dass ich so viel Glück hatte und in eine Welt voller Frieden und Wohlstand zurückgekehrt bin.
    Tag 1 – der wievielte auch immer
    Eine Welt mit ziemlich vielen Whiskey-Sorten auf jeden Fall gestern in diesem Pub. Wir haben sie alle durchgetestet, und ich bin mir noch nicht sicher, ob ich diesen Tag überleben werde. Ich habe einen rauen Hals, weil ich Zigarrillos auf Lunge geraucht habe, und einen Geschmack im Mund wie … ach lassen wir das lieber. Ich mache mir einen Kräutertee, packe meine Sporttasche und fahre dann mit der U-Bahn zum Fitnesscenter. Ich finde das ziemlich stark von mir.
    Zurück auf Los also. Vier Tage vor dem Ziel schwach geworden. »Du wirst dich morgen schwarzärgern!« Immer wieder habe ich es mir gestern gesagt. Vor der ersten Zigarette an dieser Autobahntankstelle. Dass es ja wohl eine schwache Nummer ist, beim ersten Problem gleich wieder zum Glimmstängel zu greifen und es mit meiner Frustrationstoleranz nicht weit her sein kann. Und ich mich großartig fühlen würde, wenn ich nur noch zwei Tage durchhalte und es dann krachen lassen kann, wie immer ich will. Bis zum allerletzten Whiskey habe ich ich mir gesagt: Du wirst dich morgen ärgern!
     
    Ich ärgere mich nicht. Ich möchte diesen großartigen Abend nicht bereuen. Und ich empfinde nicht das geringste Scheitern jetzt auf dem Weg zum Sport. Mein Vertrag sieht das ausdrücklich vor, dass ich es weiter

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