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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Senzel
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versuchen kann. § 13. Es macht mir auch nichts aus, dass ich jetzt den ganzen Stress und die Entsagung noch mal von vorn anfangen muss. Eigentlich finde ich es sogar ganz gut. Weil ich mich in diesem nüchternen, klaren Leben sehr wohlfühle. Ich würde gern so weiterleben. Nicht so
rigide – aber alles in allem ein maßvolleres, diziplinierteres Leben führen. In dem mir bestimmte Strukturen in Fleisch und Blut übergehen. In dem es normal ist, nicht zu rauchen und nicht zu trinken – kein bewusstes Entsagen. In dem ich meine Sachen in Ordnung halte, weil es in mir drin steckt. So wie Oma. Aber so weit bin ich noch nicht. Ich bin schon gefährdet, sehr schnell wieder in alte Gewohnheiten zurückzufallen. Und deshalb freue ich mich fast ein bisschen, dass ich das jetzt noch mal vier Wochen so weitermachen darf. Bin gespannt, wie lange es am Ende wirklich dauert. Denn dass ich das hier irgendwann zu Ende bringe und meinen Vertrag erfülle – das ist ja mal sowieso klar.

Nachspiel
    4. Juli 2009 – New York: Die untergehende Sonne taucht die Hochhausfassaden Manhattans und das Wasser des Hudsons in blutrotes Licht. Ich stehe auf dem Deck eines Schiffes – inmitten Hunderter Ausflugsdampfer, Segeljachten und Motorboote. Ich habe ein Glas Champagner in der Hand und meine Frau im Arm und warte auf das Feuerwerk. Als die Dunkelheit sich über New York senkt, explodieren Tausende blaue, rote und weiße Sterne am Himmel. Unabhängigkeitstag. Für Amerika und mich. Die USA werden 233 Jahre alt und ich 50. Selten hat sich mein Leben so stimmig angefühlt. Wie in dieser Szene in dem Film Titanic , als Leonardo di Caprio mit weit ausgebreiteten Armen vorne auf dem Bug steht und voller überschäumender Lebensfreude in den Wind ruft: »Ich
bin der König der Welt.« Genau so fühle ich mich. Heute vor drei Jahren war ich überzeugt, die beste Zeit meines Lebens liege hinter mir – ich wusste nicht, dass sie noch kommen würde.
    Der Farbenrausch am Himmel über dem Hudson mischt sich mit dem Dröhnen Hunderter Schiffssirenen zu einem furiosen Finale. Dann der Nachzügler – eine einzelne Rakete als letzter Paukenschlag. Eine purpurne Feuerkaskade erhellt die Nacht, spiegelt sich im Fluss und erlischt im vielstimmigen Ah und Oh Zehntausender bei dieser Schiffsparade zum Unabhängigkeitstag. Es dauert eine Weile, bis unser Boot seinen Weg zurück durch das Gewimmel auf dem Hudson an seine Anlegestelle gefunden hat. Ich drücke die Hand meiner Frau und schaue in stummer Ergriffenheit auf die immer noch hell erleuchteten Hochhausfassaden. Ich bin tatsächlich hier, in New York. Wir beschließen, in dieser lauen Sommernacht meines 50. Geburtstages zu Fuß nach Hause zu gehen. Seit fast einem Jahr lebe ich mit meiner Frau in Manhattan und es fasziniert mich noch immer jedes Mal, dass es so völlig normal ist, nachts ohne ein mulmiges Gefühl durch die Straßen zu spazieren.
    Vor 20 Jahren war das undenkbar. In der Erinnerung an meinen ersten Besuch ist New York eine düstere und bedrohliche Stadt. Auf den Straßen lag Dreck, die U-Bahnen waren mit Graffiti verschmiert, der Central Park nach Einbruch der Dunkelheit eine No-go-Area und in Harlem verriegelten die Taxifahrer ihre Türen. Täglich berichteten die Zeitungen über Bandenkriege und Morde. »Look tough«, einen besseren Ratschlag hatten die New Yorker nicht zu bieten als Schutz gegen
Überfälle. Jeder kannte damals irgendeinen, der schon mal ausgeraubt worden war. Oder jedenfalls einen, der einen anderen kannte, dem das passiert war. Heute ist New York eine der sichersten Großstädte der Welt. Fünfmal weniger Morde als vor 20 Jahren. Im Central Park dealen keine Fixer mehr, sondern spielen Kinder. Die U-Bahnen glänzen frisch poliert und Harlem ist ein normales Szeneviertel mit Jazzclubs und guten Kneipen. Ich habe bislang keine einzige beklemmende oder bedrohliche Situation erlebt. Meine Frau ist auch abends viel mit dem Fahrrad unterwegs und wir fühlen uns absolut sicher in dieser Mega-Metropole – die 20 Jahre zuvor noch als unregierbar und unbeherrschbar galt.
    Und das alles nur, weil ein Bürgermeister anordnete, erst mal die zerbrochenen Fensterscheiben in den Problemgebieten zu reparieren – und jeden einzusperren, der wieder eine Scheibe einschmeißt. Und die Schwarzfahrer und Graffitischmierer und An-Häuserwände-Pinkler festzunehmen. »Null Toleranz« hieß das Programm des Robert Giuliani, und im ersten Moment klang das völlig absurd. Da herrschte

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