Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
Vom Netzwerk:
unveränderlicher Programmierung und benötigte daher keinen Schmied für die Anpassung komplexer Produktionsprogramme. Rahil hatte sich eine Analyseeinheit fabrizieren lassen – mit begrenztem Potenzial, aber für seine Zwecke völlig ausreichend – stand nackt vor dem leise surrenden Apparat und beobachtete, wie er seine Rüstung verschlang. Holografische Fenster öffneten sich über der Werkbank mit den vielen Anschlüssen und Interfaces, und Datenkolonnen wanderten durch die Darstellungsbereiche.
    »Wünschen Sie einen einfachen Funktionstest oder eine gründliche Überprüfung?«, erklang die Stimme der Maschinenintelligenz, die das Schiff steuerte und dessen Systeme kontrollierte, darunter auch die Schmiede.
    »Ich möchte wissen, ob ich diesem Modell Empirion mein Leben anvertrauen kann«, sagte Rahil.
    »Ich verstehe, Exekutor. Überprüfung beginnt. Wünschen Sie Kleidung, während Sie warten?«
    »Nein, es ist warm genug.« Exekutor, dachte er und begann mit einer langsamen Wanderung durch den etwa dreißig Quadratmeter großen Instrumentenraum, der sich dort befand, wo der silberne »Blumenstängel« des Schiffes in den Blütenkelch überging. Hatte der Junge, der damals auf Caina davon geträumt hatte, einmal zur Ägide zu gehören, jemals daran gedacht, Exekutor zu werden? Ein Gesicht mit Sommersprossen erschien vor Rahils innerem Auge, aber es gehörte nicht Jazmine, sondern Emily, dem Kindermädchen, das seiner Schwester und ihm von anderen Welten erzählt hatte. Emily mit dem leichten Lächeln und der sanften Hand … Sie hatte Regeln beschrieben, die Moral und Ethik betrafen und über die sich niemand hinwegsetzen durfte. Und der Knabe, der an ihren Lippen gehangen hatte, nicht nur von ihren Worten fasziniert, war entschlossen gewesen, jene Regeln – die der Ägide – eines Tages zur Grundlage seines Lebens zu machen, denn sie waren ganz anders als der auf Macht ausgerichtete Pragmatismus seiner Familie. Worte seines Vaters hallten aus der Vergangenheit, mit dem dumpfen Klang einer Stimme, die aus dem Grab kam: »Moral und Ethik sind Entschuldigungen der Schwachen. Unsere Familie ist stark und mächtig geworden, weil wir es verstanden haben, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, immer und überall. Tu, was getan werden muss, Rahil. So lautet unser Grundsatz. Du wirst es lernen, und ebenso deine Schwester. Du wirst lernen und begreifen, dass ich recht habe, und irgendwann wirst du meinen Platz einnehmen und dieses Prinzip auch deinen Sohn lehren.«
    Aber dazu war es nicht gekommen. Rahil hatte Caina verlassen, er war aus dem Dutzend geflohen , um nicht die Nachfolge seines Vaters antreten zu müssen, und er hatte seine Schwester überredet, mit ihm zu kommen. Und dann, kurze Zeit später, war Jazmine gestorben.
    Nein, damals hatte er nicht davon geträumt, sich über Regeln hinwegzusetzen, aber viele Jahre später, in denen nach zahlreichen Einsätzen die Enttäuschung größer geworden war als die Hoffnung, auf den Gefallenen Welten entscheidende Verbesserungen zu bewirken, hatte er damit begonnen, Kritik zu üben und eine Revision des Regelwerks der Ägide zu fordern. Warum, hatte er immer wieder laut und hartnäckig gefragt, setzte die Ägide nicht alle ihre technischen, politischen und wirtschaftlichen Mittel ein, um den Despotien und Autokratien auf den Gefallenen Welten ein Ende zu setzen? Dass ausgerechnet er mit der Heraklon-Mission beauftragt worden war, hatte ihn angesichts seiner Kritik überrascht – daran erinnerte sich das Image –, aber im Licht der neuen Entwicklungen betrachtet war es vielleicht gar nicht so überraschend. Die Ägide, das Kuratorium … Sie konnten nicht über ihren eigenen Schatten springen, zumal sie sich ständig von den Evaluatoren der Hohen Mächte beobachtet fühlten. Vielleicht war er für die Mission auf Heraklon ausgewählt worden, weil er so oft Kritik geübt und ein direkteres Eingreifen gefordert hatte. Vielleicht hatten die Kuratoren gehofft , dass er sich über die Regeln hinwegsetzte, um seinen Auftrag zu erfüllen.
    Aber es hatte nicht funktioniert. Er war getötet worden.
    Und jetzt stand er hier, an Bord eines Shifters, der nach Heraklon flog, offiziell mit Exekutor-Privilegien ausgestattet: Rahil Tennerit, als Kind von Idealen fasziniert, als Erwachsener von ihnen enttäuscht und in seinem vierten Leben berechtigt, sie zu verraten, um ebenjene Ideale zu bewahren und durchzusetzen.
    Er hatte die Augen geschlossen, öffnete sie nun und sah

Weitere Kostenlose Bücher