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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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bewusstlose Icardo, der Mann, der den Clipper geflogen hatte. Leichter Wind wehte ihm Ascheflocken ins Gesicht. Sammaccan wartete direkt vor dem Kickout, vielleicht weil er fürchtete, auf dieser ihm fremden Welt zurückgelassen zu werden.
    »Ist es kein geeigneter Ort?«, wandte sich Rahil an seinen Vater. »Hier liegt eins deiner Opfer. An dieser Stelle wurde Emily verscharrt. Du solltest die Gelegenheit nutzen, über deine Verbrechen nachzudenken. Vielleicht findest du dabei dein Gewissen wieder. Falls du jemals eins hattest.«
    Coltan starrte ihn zornig an. »Du wirst es bereuen, Junge.«
    »Wohl kaum.« Zusammen mit Jazmine trat Rahil zum Kickout.
    »Warte, Junge!« Coltan schüttelte Joyces Hand ab, die sich ihm auf den Arm gelegt hatte. »Warte!«
    Hol uns zurück , riefen Rahils Gedanken dem viele Lichtjahre entfernten Artefakt auf Heraklon zu.
    Das Kickout schloss sich um sie, blitzte auf und verschwand.
    Schnee glitzerte im Licht der Sonne; Eiszapfen hingen wie Trauergirlanden an den Dachrändern. Es regte sich nichts in Couron, Hauptstadt von Munraha. Stille lag über der leeren Metropole und den Resten der Akkumulatoren und Integratoren.
    »Du wirst hier nicht lange allein bleiben, Sammaccan«, sagte Rahil. Jazmine wartete hinter ihnen beim Kickout. »In einer halben Stunde treffen die ersten Clipper ein. Bis zur Rückkehr der Evakuierten wird es länger dauern.«
    Bis dahin dürften Wochen oder Monate vergehen, dachte er. Die Düsternis war vom Himmel verschwunden, und die Sonne brachte Wärme, schmolz Schnee und Eis. Aber der Wiederaufbau würde Jahre dauern, hier und in den anderen Regionen, die von der Absorption durch das initialisierte Artefakt betroffen gewesen waren. Inzwischen nahm die Superschmiede keine Masse und Energie mehr auf, doch der angerichtete Schaden blieb. Eine Rekonversion war nicht möglich; das Artefakt konnte Heraklon nicht zurückgeben, was es ihm genommen hatte. Rahil fragte sich, ob die unkontrollierte Aktivität der Superschmiede Teil des Plans der Krion gewesen war. Hatten sie sich letztendlich ein Eingreifen der Ersten erhofft, so wie vor sechshundert Jahren die anderen »Hohen Mächte« eingegriffen hatten, um zu verhindern, dass sich der Weltenbrand des Ereignisses ausbreitete, vielleicht ohne zu ahnen, dass die Krion hinter der Katastrophe steckten? Hatten sie gehofft, dass sich die Ersten mit einer solchen Intervention eine Blöße gaben, dass sie verrieten, wohin sie sich zurückgezogen hatten? Pläne innerhalb von Plänen, Muster innerhalb von Mustern, das war die fraktale Geometrie der Realität. Lügen innerhalb von Lügen, manchmal in ein täuschendes Gewand aus Halbwahrheiten gehüllt, das gehörte zum Wesen unreifer Intelligenz, und die Krion hatten es zu einer wahren Kunst entwickelt.
    Was auch immer geschieht, dachte Rahil, ich muss vorsichtig sein und darf es nie an Wachsamkeit mangeln lassen.
    »Könntest du mich nicht mitnehmen, Rahil Tennerit?«, fragte Sammaccan. Er stand hilflos im Sonnenschein, umgeben von Schnee, Schultern und Kopf gesenkt. »Könnte ich nicht dein Assistent sein?«
    »Nach allem, was gewesen ist?«, erwiderte Rahil und legte Schärfe in seine Worte. »Was wir erlebt haben, was du gehört hast … Ist es nicht eine Lektion über Wahrheit, Lüge und Vertrauen?«
    »Ich habe es für meine Pflicht gehalten«, sagte Sammaccan kleinlaut. »Wir alle sind an unsere Pflicht gebunden, Rahil Tennerit.«
    »Manchmal führt uns die Pflicht in die falsche Richtung, und wir müssen in der Lage sein, das zu erkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Du bist jung, und ich habe Zeit.« Viel Zeit, dachte Rahil. Jahrtausende. »Vielleicht kehre ich eines Tages zurück, wenn du gelernt hast, was Vertrauen bedeutet. Vielleicht kannst du dann mein Assistent werden. Bis dahin solltest du beim Wiederaufbau deines Landes helfen. Es könnte durchaus sein, dass du dabei eine Möglichkeit entdeckst, die Männer von Munraha in die Freiheit zu führen. Ohne Waffengewalt«, fügte Rahil hinzu. »Es ist genug zerstört worden.«
    »Ich höre dich«, sagte Sammaccan. »Und ich versuche zu verstehen.«
    »Ich hoffe, dass es dir gelingt.« Rahil ging zum Kickout und hörte durch die bunten fraktalen Muster die vielen Stimmen des Artefakts. »Leb wohl, Sammaccan.«
    »Es tut mir leid, Rahil Tennerit!«, rief der Polymorphe. »Es tut mir wirklich leid, glaube mir.«
    Rahil hörte die Worte, obwohl ihn das Kickout bereits zum Artefakt trug, und er dachte: Vielleicht

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