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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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und anderen Maßnahmen «verständlicher» zu machen,[ 35 ] statt andere Tiere in Zoos und engen Käfigen gefangen zu halten? Wir würden nicht mehr in Zoos gehen, bräuchten aber auch keinen hysterischen Anfall zu bekommen, wenn Wildschweine durch die Vorortsiedlung laufen, und wären besser vorbereitet, wenn sich ein Vogelpaar einen Teil unserer Garage zum Nistplatz erkoren hat.[ 36 ]
    Die Erde gehört nicht allein uns: nicht das Land, nicht das Meer, aber eben auch nicht die Städte. Und so sind Tiere inder Stadt nicht grundsätzlich andere Wesen als die in Wald und Flur; nur schieben sich dabei zwei Sphären, die der oben skizzierten Natur und die der Kultur, auf besonders sichtbare Weise ineinander. Nicht alles, was wir an dem Leben der Tiere sehen, ist schön: nicht die Entenvergewaltigungen auf dem Stadtteich, nicht der Angriff des Sperbers auf Jungvögel im Garten, nicht das Husten des Igels, das uns anzeigt, dass er von Lungenwürmern befallen ist. Bei solchen Gelegenheiten reibt sich unser eigenes moralisches Denken mit der Logik natürlicher Vorgänge, die durch ein stetes Kommen und Gehen, Vermehren und Vermindern, Wachsen und Räubern gekennzeichnet sind. Aber sollen wir deshalb all dieses Leben, das sich anders als nach unseren Vorstellungen vollzieht, gleich hinter das Glas einer Vitrine oder hinter Gitter bannen?
    Ich möchte dieses Miteinander und Aufeinandertreffen von Natur und Kultur noch einmal an einem ganz anderen Beispiel illustrieren, nämlich der Katze. Die Katze ist Grenzgängerin par excellence, denn auch die zahme, aber freie Katze lebt in zwei Sphären. Als Teilnehmerin an der «Menschenwelt» genießt sie den Komfort des Sofas, des gefüllten Napfes, der Heizung und der medizinischen Versorgung. Allein dadurch, dass sie entwurmt wird, ist die Katze einer der größten Gefahren, nämlich dem Tod durch Parasiten, entrückt. (Allerdings ist sie den Gefahren des Verkehrs ausgesetzt, doch die kennt der in der Stadt lebende Fuchs auch, und ihm hilft niemand gegen Parasiten.) Doch sobald die Katze hinausgeht in den Park oder Garten, folgt sie ihrem Jagdtrieb, den ihr auch noch so viele Streicheleinheiten nicht austreiben können. Sehr zum Entsetzen der Menschen schleppt sie dann die Beute nach Hause und bringt einen ins Grübeln, ob sie am Ende doch nicht nur dieses süße Geschöpf ist, das so possierlich neben einem auf dem Sofa lag und im Schlaf mit den Pfoten und Schnurrhaaren zuckte.
    Viele Tierethiker hat diese ärgerliche Unart der Katze, ein Raubtier zu sein, irritiert: Ist sie denn nun ein Haustier oder ein Wildtier? Und wenn sie ein Haustier ist, tragen wir dann nicht auch Verantwortung für die Tiere, die sie tötet?[ 37 ] Ich denke, diese Verwirrung löst sich auf, wenn wir uns klarmachen: Die Katze
ist
nicht einfach dieses oder jenes. Genauso wenig wie viele anderen Tiere
ist
sie Haustier oder Raubtier. Es sind, um mit Palmer zu sprechen, die moralischen Kontexte, die unterschiedliche Bereiche und Formen von Verantwortung abstecken. Und so haben wir einerseits der Katze gegenüber besondere Verpflichtungen als jemandem, der unserer Familie oder unserem Freundeskreis angehört oder nahesteht.[ 38 ] Andererseits sind wir für ihr Verhalten – das schlicht das Verhalten eines biologischen Wesens gegenüber einem anderem ist – genauso wenig verantwortlich wie für das eines Fuchses, der ebenfalls Mäuse, oder das eines Falken, der Vögel jagt.
    Als Katzenfreundin laufe ich hier vielleicht Gefahr, Dinge überzubetonen, die eigentlich gar nicht so aufsehenerregend sind – aber mir scheint doch, dass eine zahme, freie Katze die beiden Sphären des Menschlichen und der Natur auf anschauliche und bisweilen auch nervenzehrende Weise verbindet. Sie hat eine bemerkenswerte Sonderstellung unter den Haustieren. Einen Familienhund würden wir nie so lange alleine ziehen lassen, und selbst meine zahmsten Schafe hole ich – schon in ihrem eigenen Interesse – nie ins Haus. Die Katze aber wandert frei hin und her zwischen der engen Nähe zu uns und einem Lebensbereich, zu dem wir nahezu keinen Zutritt haben.[ 39 ]
    Hier schließt sich wieder der Kreis zu der Debatte um
policing nature,
mit dem sich der erste Abschnitt dieses Kapitels beschäftigte. Der Fall der frei lebenden Hauskatze bildet gewissermaßen deren Gegenstück. Bei
policing nature
tragen wir die Frage, wie wir mit dem durch Naturgeschehen geschaffenen Leid umgehen sollen, in die außer-menschlicheSphäre hinaus. Doch die Katze

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