Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Regen in den Boden gespült wird, oder atomare Strahlung. Es gibt also etliche menschliche Eingriffe, deren Folgen man nicht unter die in der Natur üblichen Schwankungen subsumieren kann, und etliche Materialien und Gifte beeinträchtigen alle gemeinsam und lassen sich nicht bewältigen.
Vielleicht könnte sich die Natur auch daran adaptieren, wenn sie genug Zeit hätte, Lösungen auf evolutionärem Weg zu entwickeln. Das Tempo menschlicher Entwicklungen aber ist an dem der Evolution rasant vorbeigezogen. Unsere technischen Erfindungen tricksen die Möglichkeiten der Natur zur Anpassung sozusagen aus – und auch die Sinne der anderen Tiere. Wir haben viele ihrer Umweltkomponenten so schnell und so grundlegend verändert, dass sie keine Möglichkeit haben, darauf angemessen zu reagieren oder sich zu spezialisieren.[ 26 ]
Mit vielen Erfindungen, Entwicklungen, Abfallstoffen oder Eingriffen nehmen wir anderen Tieren die Möglichkeit, ihren Lebensraum (gut) zu nutzen. Umgekehrt könnte man daraus, ganz praktisch, zum Beispiel folgern, dass wir auf den Einsatz von hoch toxischen oder schwer abbaubaren Stoffen und Materialien verzichten oder ihren Verbleib, ihre Rücknahme nach Gebrauch und ihre Wiederverwertung strikt kontrollieren müssen. Hier hoffe ich darauf, dass insbesondere die Anbieter veganer Nahrungsmittel konsequent voran gehen und Wege finden, auf denen der Mainstream folgen kann.[ 27 ] Denn so wie die Umweltfreunde früher oder später werden erkennen müssen, dass der Verzehr tierischer Nahrungsmittel auch die Umwelt unnötig belastet, müssen sich Tierfreunde und Veganer klarmachen, dass umweltschädigendes Verhalten eben auch zu Lasten von Tieren geht. Diese umwelt-ethischen Konsequenzen könnten aus tierethischerSicht dann also zwei Formen annehmen: Einmal müssen wir unsere Nutzung und Vernutzung von Lebensräumen und natürlichen Ressourcen rein quantitativ einschränken. Zweitens sollten wir unsere Lebensweise (Industrien, Verbrauch etc.) auch qualitativ so verändern, dass andere Tiere weiterhin eine faire Chance in ihrer Umwelt haben.
Tiere unter uns
Die Formel von der «fairen Chance» enthält auch bereits meine Meinung zu einem zunächst weit entfernt scheinenden, tatsächlich aber verwandten Problem: Wie sollen wir mit den Tieren umgehen, die (von uns ungewollt) unter uns, also zum Beispiel in den Städten, leben? Donaldson und Kymlicka nennen sie Grenzgänger-Tiere
(liminal animal denizens
)[ 28 ] und behandeln sie als dritte Gruppe zwischen Wildtieren und domestizierten Tieren. Aber in vielerlei Hinsicht gelten die Gesetze der Wildnis auch für sie, denn Natur in der Stadt ist kein Sonderfall, erst recht nichts Regelwidriges, kein Widerspruch in sich. Für
uns
ist irritierend, dass sich durch die räumliche Nähe des Zusammenlebens mit diesen Tieren manche Fragen neu oder anders oder dringlicher stellen als in der Fiktion, die Städte gehörten uns und Natur sei irgendwo «da draußen». Aus Sicht der Tiere hingegen ist die Stadt einfach ein weiterer Lebensraum, der erforscht, erprobt und bei Erfolg genutzt wird. Dieser neue Lebensraum bietet neue Gefahren, vor allem den Verkehr, aber auch viele Vorteile: Nahrung (für diejenigen, die sich aus Mülltonnen bedienen, sogar saisonunabhängig), geringere Temperaturgefälle im Winter, Schutz vor vielen Feinden.
Auch in der Stadt lässt sich oft nicht pauschal sagen, welchen Tieren wir mit welchen Maßnahmen entgegenkommenund welchen wir schaden. Die steinernen Fassaden hoher Bauten zum Beispiel sind geeignete Nistplätze für viele Vogelarten und insofern nicht per se «lebensfeindlich»,[ 29 ] die vielen Fenster der Glasfassaden hingegen schon. Letztere würde ich daher zu den «unfairen» Bedingungen rechnen, für die künftige Stadt- und Gebäudeplaner hoffentlich eine bessere Lösung finden; ebenfalls ungünstig für alle ist die Nachverdichtung des Bodens, wenn also kleine Lücken geschlossen werden, die, auch wenn sie fürs menschliche Auge unansehnlich sein mögen, doch vielen Tieren Unterschlupf bieten.[ 30 ] Und schließlich weist die Stadt neben den vielen Glasfenstern noch etliche andere Fallen auf, die so in den früheren Lebensräumen nicht vorkamen und auf die die Tiere nicht vorbereitet sind: zum Beispiel scheinbar verlockende Nistplätze, die sich aber als Todesfallen erweisen, wie Metallrohre, deren Wände die Jungtiere nicht bezwingen können.[ 31 ] Auch das Minimieren solcher unabschätzbarer Gefahren, auf die Tiere nicht
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