Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
eingestellt sein
können,
könnte man als ethisch gebotene Maßnahme erwägen.[ 32 ]
Dies sind zugegebenermaßen nur sehr vage Vorschläge. Die Tierethik hat sich die allermeiste Zeit gar nicht mit den Tieren in der Stadt befasst – einfach weil das, was wir mit den Tieren in der Landwirtschaft und in den Laboren machen, so viel umfassender und drastischer ist. Da in den Industrieländern bereits drei Viertel der Bevölkerung in Städten leben, kann es sich die Tierethik auf Dauer aber nicht leisten, diesen wichtigen Ort des Zusammenlebens mit anderen Tieren nonchalant zu übergehen; auch hier haben Donaldson und Kymlicka einen bewundernswerten Anfang gemacht. Die Biologie kann uns zudem darüber belehren, dass wir uns völlig zu Unrecht angewöhnt haben, Tiere in der Stadt als tendenziell deplatziert und wertloser anzusehen als die «echten» Tiere in der «Wildnis». Dazu schreibt der Zoologe Reichholf, der übrigens ein Jagdkritiker, keineswegs aber Tierrechtler ist, pointiert: «Es sei zugestanden,dass ein Wanderfalke, der über einer einsamen Waldschlucht jagt, eine andere Erlebnisqualität vermittelt als ein anderer bei der Taubenjagd in den Straßenschluchten von Millionenstädten. Aber das liegt offenbar an den Menschen und nicht am Falken.»[ 33 ]
Es ist aufschlussreich, dass Reichholf – obwohl oder vielleicht gerade weil er Ökologe ist – sogar eine Lanze für diejenigen Menschen bricht, die Tiere in der Stadt anlocken und füttern, zum Beispiel Wasservögel in den Parks. Gewiss, das führt zu einigen Verschmutzungen oder auch Schäden, aber: «Die ohrenbetäubenden Materialschlachten der Silvesternächte werden als ‹zur Kultur gehörig› hingenommen und nicht etwa extra anhand der Säuberungskosten berechnet und den Verkäufern der Feuerwerkskörper als Sondersteuer angerechnet. Es gehört zur Vielfalt der Kultur und zur demokratischen Toleranz der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen untereinander, die anders gearteten Wünsche mancher Menschen zu respektieren … Die Ansammlungen von Enten, Gänsen und Schwänen gehören zu den Städten, weil es die Menschen dieser Städte sind, die diesen Vögeln das Leben in der Stadt ermöglichen. Die Kommunen müssen daher auch die Kosten genauso selbstverständlich tragen, wie sie andere übernehmen.»
Das scheint zunächst ein anthropozentrisches, also sich um den Menschen drehendes Argument zu sein: Tiere dürfen in der Stadt leben, weil Menschen dies wollen. Doch Reichholfs Beschreibungen der Stadtnatur widerlegen gründlich das Vorurteil, Tiere «gehörten» nicht in die Stadt. Zudem legen sie einen weiteren Gedanken nahe: Zwar neigen wir im Vorbeigehen oft dazu, ältere Leute, die Enten und Schwäne füttern, für sentimental zu halten, aber vielleicht praktizieren solche tierlieben Stadtmenschen eine völlig plausible Lebensweise, die künftig sogar mehr Anhänger gewinnen könnte. Dann nämlich, wenn wir uns abgewöhnen würden, Tiere einer der beiden Rubriken Nutztier oderKuscheltier zuzuordnen, und sie stattdessen stärker als Nachbarn und Mitbewohner wahrnehmen würden.
Die meisten Menschen wollen nämlich mit anderen Tieren zusammenleben. Sie bleiben erfreut stehen, wenn sie in einer Stadt wie Berlin einen Reiher sehen. Wenn ihre Umgebung an Tieren verarmt ist, suchen sie Orte auf oder schaffen welche, wo sie Tieren begegnen können. (Meist zum Leidwesen dieser Tiere.) Bei diesem Verlangen nach dem Kontakt mit anderen Tierarten könnte es sich um eine anthropologische Komponente des Mensch-Seins im Martha Nussbaumschen Sinne handeln oder um die uns angeborene Biophilie, von der der Biologe Edward O. Wilson spricht.[ 34 ] Wir wollen nicht unbedingt das Haus mit all diesen Tieren teilen, aber wir wollen sie doch sehen, mit ihnen Kontakt haben. Einerseits sind wir auf die Idee getrennter Räume geradezu fixiert – Spinnen «gehören» nicht ins Haus und Füchse angeblich nicht in die Stadt; andererseits reichern wir diese von Tieren bereinigten Räume dann wieder mit Tieren an. Wie sonst ließen sich Zoos und die vielen unglücklichen Vögel, Meerschweinchen und Kaninchen in deutschen Wohnungen erklären?
Doch statt Kaninchen und Wellensittiche in Käfige zu sperren, wäre es besser zu überlegen, wie wir friedfertiger mit den Kaninchen und Tauben in der Stadt zusammenleben können, ohne sie regelmäßig abzuschießen oder zu vergiften. Wäre es nicht klüger, den Tieren, die freiwillig zu uns in die Städte kommen, die Stadt mit baulichen
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