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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Schuppen geschrieben stand.

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Arthur
    Arthur war der Abstammung nach Ire, von Geburt Schotte, durch holländische Jesuiten im römischen Glauben unterwiesen und wurde zum Engländer. Die englische Geschichte beflügelte ihn, die englischen Freiheiten erfüllten ihn mit Stolz, das englische Cricketspiel weckte patriotische Gefühle in ihm. Und das größte Zeitalter der englischen Geschichte – wobei ihm die Entscheidung nicht leichtfiel – war das vierzehnte Jahrhundert: eine Epoche, in der englische Bogenschützen das Feld beherrschten und sowohl der französische wie auch der schottische König in London gefangen gehalten wurden.
    Doch auch die Geschichten, die er unter dem erhobenen Porridgeholz gehört hatte, gingen ihm nie aus dem Sinn. Für Arthur lag die Wurzel des englischen Wesens in der längst vergangenen, nie vergessenen, stets aufs Neue erfundenen Ritterwelt. Kein Ritter war treuer als Sir Kaye, keiner so tapfer und galant wie Sir Lancelot, keiner so tugendhaft wie Sir Galahad. Kein Paar war beständiger in seiner Liebe als Tristan und Isolde, keine Gattin holder und treubrüchiger als Ginover. Und natürlich war kein König kühner und edler als Arthur.
    In den christlichen Tugenden konnte sich jedermann üben, ob von niederer oder hoher Geburt. Ritterlichkeit aber war das Vorrecht der Mächtigen. Der Ritter beschützte seine Dame; die Starken kamen den Schwachen zu Hilfe; Ehre war etwas Lebendiges, für das man zu sterben bereit sein sollte. Leider bot sich einem frischgebackenen Arzt nur recht selten Gelegenheit zu Gralssuche oder Ritterzug. In dieser modernen Welt der Birmingham-Fabriken und Bowlerhüte schien der Begriff der Ritterlichkeit oft auf bloße Fairness herabgesunken zu sein. Doch Arthur übte sich in dem Kodex, wo immer es ging. Er stand treu zu seinem Wort; er half den Armen; er hütete sich vor niederen Gefühlen; er brachte Frauen Achtung entgegen; er trug sich mit langfristigen Plänen, um seine Mutter zu erretten und für sie zu sorgen. Mehr konnte er in Anbetracht dessen, dass das vierzehnte Jahrhundert bedauerlicherweise schon vorüber und er nicht William Douglas, Lord of Liddesdale, die Blüte der Ritterlichkeit höchstselbst war, einstweilen nicht tun.
    Bei seinen ersten Annäherungen an das schöne Geschlecht ließ er sich nicht von physiologischen Fachbüchern, sondern von den Regeln der Ritterlichkeit leiten. Er sah gut aus, wirkte anziehend auf Frauen und flirtete gern und unverblümt mit ihnen; einmal ließ er die Mama stolz wissen, er sei in ehrbarer Liebe zu fünf Frauen zugleich entbrannt. Das war etwas anderes als eine Busenfreundschaft mit den Schulkameraden, doch zumindest einige Regeln behielten auch hier ihre Gültigkeit. Wenn einem zum Beispiel ein Mädchen gefiel, so gab man ihm einen Kosenamen. Wie etwa Elmore Weldon: ein hübsches, kräftiges Ding, mit dem er wochenlang heftig flirtete. Er nannte sie Elmo, nach dem Elmsfeuer, jenem wundersamen Licht, das während eines Sturms um Masten und Rahnocken eines Schiffs zu sehen ist. Er stellte sich gern vor, er sei ein Seefahrer, der auf dem Meer des Lebens in Not geraten war, und sie helle das dunkle Firmament für ihn auf. Ja, fast hätte er sich mit Elmo verlobt; aber nach einer Weile unterließ er es dann doch.
    Große Sorgen bereiteten ihm zu jener Zeit auch nächtliche Pollutionen, von denen in der Morte d’Arthur wenig die Rede gewesen war. Feuchte Laken am Morgen lenkten doch sehr von ritterlichen Träumen ab und trübten das Bild dessen, was einen Mann ausmachte oder ausmachen könnte, wenn er sich nur gehörig anstrengte. Arthur versuchte, sein schlafendes Ich durch verstärkte körperliche Betätigung zur Disziplin zu rufen. Er boxte bereits, spielte Cricket und Fußball. Nun lernte er außerdem noch Golf. Wenn weniger hochsinnige Männer sich bei Schmutz und Schund Rat holten, las er in Wisden’s Cricketers’ Almanack .
    Er begann, Geschichten an Zeitschriften einzusenden. Nun war er wieder der Junge, der in der Schule auf einem Pult stand und seine stimmlichen Künste vorführte, den alle mit großen Augen und vertrauensvoll aufgerissenem Mund ansahen. Er schrieb Geschichten von der Art, wie er sie selbst gern las – dies schien ihm der vernünftigste Zugang zum Spiel des Schreibens zu sein. Er siedelte seine Abenteuer in fernen Landen an, wo man häufig vergrabene Schätze fand und üble Schurken und rettungsbedürftige Maiden zuhauf lebten. Nur ganz bestimmte Helden taugten für die von ihm

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