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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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geschilderten gefahrvollen Aufgaben. Vor allem Männer von schwacher Konstitution oder mit einer Neigung zu Selbstmitleid und Alkohol waren dafür ganz und gar nicht geeignet. Arthurs Vater hatte in seiner ritterlichen Pflicht der Mama gegenüber versagt; nun war diese Aufgabe dem Sohn zugefallen. Er konnte seine Mutter nicht mit den Mitteln des vierzehnten Jahrhunderts retten und musste daher zu denen greifen, die ihm ein weniger glorreiches Zeitalter bot. Er würde Geschichten schreiben: Er würde seine Mutter retten, indem er die fiktive Rettung anderer schilderte. Diese Schilderungen würden ihm Geld eintragen, und Geld würde dann das Übrige tun.

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George
    Es ist zwei Wochen vor Weihnachten. George ist jetzt sechzehn und empfindet diese Zeit des Jahres nicht mehr als so aufregend wie früher einmal. Er weiß, die Geburt unseres Heilands ist eine erhabene, alljährlich gefeierte Wahrheit, doch über die gespannte Hochstimmung, die Horace und Maud noch immer ergreift, ist er hinaus. Er teilt auch die banalen Hoffnungen nicht, die seine alten Schulkameraden in Rugeley früher offen zum Ausdruck brachten und die sich auf alberne Geschenke von einer Art richteten, für die im Pfarrhaus kein Platz ist. Noch dazu wünschen sich dieselben Schulkameraden jedes Jahr inbrünstig Schnee und entheiligen sogar den Glauben, indem sie darum beten.
    George hat kein Interesse an Schlittschuhlaufen, Rodeln oder Schneemannbauen. Er bereitet sich schon auf seine künftige Laufbahn vor. Er hat Rugeley hinter sich gelassen und studiert nun Jura am Mason College in Birmingham. Wenn er fleißig ist und die erste Prüfung besteht, wird er Rechtspraktikant sein. Nach fünfjähriger Ausbildung findet ein Abschlussexamen statt, und dann ist er ein Solicitor. Er malt sich aus, dass er einen Schreibtisch hat, eine Reihe gebundener Gesetzbücher und einen Anzug mit einer Uhrkette, die wie eine goldene Schnur zwischen den Westentaschen hängt. Er stellt sich vor, dass er Respekt genießt. Er stellt sich vor, dass er einen Hut trägt.
    Es ist schon fast dunkel, als er am späten Nachmittag des zwölften Dezember nach Hause kommt. An der Pfarrhaustür sieht er auf der Treppe einen Gegenstand liegen. Er beugt sich vor, dann hockt er sich hin, um ihn näher in Augenschein zu nehmen. Es ist ein großer Schlüssel, der sich kalt anfühlt und schwer in der Hand liegt. George weiß nicht, was er davon halten soll. Die Schlüssel zum Pfarrhaus sind viel kleiner, der zum Schulzimmer auch. Der Kirchenschlüssel ist wieder anders, und von einem Bauernhof scheint dieser auch nicht zu stammen. Doch sein Gewicht lässt auf eine ernsthafte Bestimmung schließen.
    Er bringt ihn seinem Vater, der ebenso verwundert ist.
    »Auf der Treppe, sagst du?« Wieder eine Frage, auf die der Vater die Antwort bereits kennt.
    »Ja, Vater.«
    »Und du hast niemanden gesehen, der ihn dort hingelegt hätte?«
    »Nein.«
    »Und ist dir auf dem Weg vom Bahnhof jemand vom Pfarrhaus entgegengekommen?«
    »Nein, Vater.«
    Der Schlüssel wird mit einem Schreiben zur Polizeiwache in Hednesford geschickt, und drei Tage darauf, als George vom College zurückkommt, sitzt Sergeant Upton in der Küche. Der Vater ist noch in der Gemeinde unterwegs; die Mutter schwirrt ängstlich hierhin und dorthin. George kommt der Gedanke, es könne eine Belohnung für den Finder des Schlüssels ausgesetzt sein. Wenn das eine der Geschichten wäre, wie sie die Jungen in Rugeley so gern hatten, wäre das der Schlüssel zu einer Schatulle oder einer Schatzkiste, und als Nächstes würde der Held eine verknitterte Landkarte mit einer durch ein großes Kreuz bezeichneten Stelle brauchen. George findet keinen Geschmack an solchen Abenteuergeschichten, die auf ihn immer viel zu unwahrscheinlich wirken.
    Sergeant Upton hat ein rotes Gesicht und die Statur eines Schmieds; die Uniform aus dunklem, schwerem Stoff engt ihn ein und ist vielleicht der Grund für sein Schnaufen. Er mustert George von oben bis unten und nickt dabei vor sich hin.
    »Du bist also der junge Bursche, der den Schlüssel gefunden hat?«
    George fühlt sich an seine Detektivspiele erinnert, als Elizabeth Foster die Wände beschmierte. Nun gibt es wieder einen Fall, doch diesmal spielen ein Polizist und ein künftiger Solicitor eine Rolle darin. Das erscheint ihm ebenso angemessen wie aufregend.
    »Ja. Er lag auf der Treppe.« Darauf gibt der Sergeant keine Antwort, er nickt nur weiter vor sich hin. Er braucht wohl eine Ermunterung,

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