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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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bringen sollten, verfiel er zusehends, delirierte und verwüstete sein ganzes Zimmer. Nach wenigen Tagen war er tot.
    Diesen Leichnam sah sich Arthur genauer an als das weiße, wächserne Ding in seiner Kinderzeit. Er hatte während seiner medizinischen Ausbildung festgestellt, dass in den Gesichtern der Toten oft viel Verheißung lag – als wären Anspannung und Druck des Lebens einem höheren Frieden gewichen. Die wissenschaftliche Erklärung dafür lautete postmortale Muskelerschlaffung, doch Arthur fragte sich insgeheim, ob das schon die ganze Antwort war. Auch tote Menschen trugen im Magen Kiesel von einem Land, das auf keiner Karte verzeichnet war.
    Als Arthur in dem aus einer einzigen Kutsche bestehenden Trauerzug von seinem Haus zum Friedhof an der Highland Road fuhr, regten sich seine ritterlichen Gefühle beim Anblick der ganz in Schwarz gekleideten Mutter und Schwester, die nun in einer fremden Stadt ohne männlichen Schutz allein waren. Dann wurde der Schleier gehoben, und Louisa erwies sich als schüchterne junge Frau mit einem runden Gesicht und blauen, ins Meergrüne spielenden Augen. Nach Verstreichen einer Anstandsfrist durfte Arthur ihr seine Aufwartung machen.
    Der junge Doktor erklärte ihr, die Insel – denn Southsea war allem Anschein zum Trotz eine Insel – lasse sich als eine Abfolge konzentrischer Ringe darstellen: innen Freiflächen, dann der mittlere Ring der Stadt und danach der äußere Ring des Meeres. Er erzählte ihr von dem Kiesboden, der für einen schnellen Wasserabfluss sorgte, von Sir Frederick Bramwells segensreichen Sanitäreinrichtungen, von der Reputation der Stadt als einem der Gesundheit zuträglichen Ort. Dieser letzte Punkt bereitete Louisa jähen Kummer, den sie hinter einer Frage zu Bramwell verbarg. Sie erfuhr sehr viel über diesen hervorragenden Ingenieur.
    Damit waren die Fundamente gelegt, und nun konnte der Ort richtig in Augenschein genommen werden. Sie besichtigten beide Piers, auf denen anscheinend den ganzen Tag lang Militärkapellen spielten. Sie sahen die Fahnenparade auf dem Governor’s Green und parodistische Darbietungen auf dem Common; durch Ferngläser inspizierten sie die Schlachtflotte der Nation, die in mittlerer Entfernung in der Bucht von Spithead vor Anker lag. Sie spazierten über die Clarence Esplanade, wobei ihr Arthur nacheinander sämtliche dort zur Schau gestellten Trophäen und Schlachtdenkmäler erläuterte. Hier eine russische Kanone, dort ein japanisches Geschütz und ein japanischer Mörser, überall Gedenktafeln und Obelisken für Marinesoldaten und Infanteristen, die in allen Ecken und Winkeln des Empire ums Leben gekommen waren, und das auf jede erdenkliche Art – Geldfieber, Schiffbruch, die List und Tücke indischer Aufständischer. Sie fragte sich, ob der Doktor einen Hang zum Morbiden hatte, neigte aber einstweilen lieber zu der Ansicht, dass sich bei ihm interessierte Neugier mit physischer Unermüdlichkeit die Waage hielt. Er brachte sie sogar mit der Pferdebahn zum Royal Clarence Victualling Yard, um sich die Herstellung von Schiffszwieback anzusehen: von einem Sack Mehl zum Teig, der sich dann unter Hitzeeinwirkung in ein Souvenir verwandelte, das die Besucher am Ausgang zwischen den Zähnen hatten.
    Miss Louisa Hawkins war sich nicht bewusst gewesen, dass Liebeswerben – wenn es sich denn um solches handelte – so anstrengend sein und so viel Ähnlichkeit mit Tourismus haben konnte. Als Nächstes wandten sie den Blick nach Süden zur Isle of Wight. Von der Esplanade aus deutete Arthur auf die azurnen Hügel des Vektischen Eilands, wie er die Insel nannte, ein Ausdruck, der ihr höchst poetisch erschien. In der Ferne konnten sie Osborne House sehen, und er erklärte ihr, vermehrte Schiffsbewegungen ließen erkennen, dass sich die Königin dort aufhielt. Dann nahmen sie ein Dampfschiff über den Solent und um die Insel herum; Louisas Blick wurde auf die Needles gelenkt, auf Alum Bay, Carisbrooke Castle, den Landslip und das Undercliff – bis sie sich genötigt sah, um einen Liegestuhl und eine Decke zu bitten.
    Eines Abends, als sie vom South Parade Pier auf das Meer hinausblickten, schilderte er ihr seine Heldentaten in Afrika und der Arktis; doch als er von den Unternehmungen auf dem Eisfeld sprach, traten ihr Tränen in die Augen, und so prahlte er lieber nicht mit seiner Jagdbeute. Sie hatte, wie er entdeckte, eine angeborene Mildherzigkeit, die er für eine Eigenschaft aller Frauen hielt, wenn man nur recht mit

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