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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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ihn nicht so leicht erkennen wie im Grand Hotel, wo er normalerweise abgestiegen wäre. Sie mussten alles tun, damit nicht in den Gesellschaftsnachrichten der Gazette oder der Post die neckische Schlagzeile erschien: WAS WILL SHERLOCK HOLMES IN BIRMINGHAM?
    Ihr erster Ausflug nach Great Wyrley war für den nächsten Spätnachmittag geplant. Sie wollten das dezemberliche Dämmerlicht ausnutzen, sich so unerkannt wie irgend möglich zum Pfarrhaus begeben und nach Birmingham zurückkehren, sobald ihre Mission erfüllt war. Arthur hätte sich für diese Expedition am liebsten bei einem Theaterkostümverleih mit einem falschen Bart ausgestattet; doch Wood war von der Idee nicht angetan. Er meinte, damit würden sie eher mehr als weniger Aufmerksamkeit erregen; ja, jeder Besuch bei einem Kostümverleih wäre eine Garantie für unliebsame Berichte in der Lokalpresse. Ein hochgestellter Kragen, ein dicker Schal und im Zug eine Zeitung vor dem Gesicht sollten genügen, um unbehelligt nach Wyrley zu kommen; dann würden sie einfach über den schwach erleuchteten Feldweg zum Pfarrhaus spazieren, als ob …
    »Als ob wir was wären?«, fragte Arthur.
    »Müssen wir uns denn verstellen?« Wood verstand nicht, warum sein Brotherr sich unbedingt maskieren wollte; erst physisch, dann psychologisch. Seiner Ansicht nach war es das unveräußerliche Recht eines jeden Engländers, sich andere Leute, und insbesondere neugierige andere Leute, mit dem Hinweis vom Leib zu halten, sie sollten sich um ihren eigenen Kram kümmern.
    »Aber natürlich. Uns selbst zuliebe. Wir müssen uns vorstellen, wir wären … hmmm … Ich hab’s – Abgesandte der Church Commissioners, die sich aufgrund eines Berichts des Pfarrers ein Bild vom baulichen Zustand von St. Mark’s machen wollen.«
    »Die Kirche ist relativ neu und stabil gebaut«, erwiderte Wood. Dann fing er den Blick seines Brotherrn auf. »Nun gut, wenn Sie darauf bestehen, Sir Arthur.«
    Am Spätnachmittag des nächsten Tages wählten sie in New Street ein Zugabteil, in dem sie in Wyrley & Churchbridge möglichst weit vom Bahnhofsgebäude entfernt ankämen. Mit diesem Trick wollten sie aufdringlichen Blicken anderer aussteigender Fahrgäste entgehen. Doch dann waren die beiden falschen Kirchenmänner die Einzigen, die dort ausstiegen, was ihnen das ganz besondere Augenmerk des Bahnhofsvorstehers eintrug. Arthur zog seinen Schal schützend vor den Schnurrbart und wurde fast von Übermut gepackt. Du kennst mich nicht, dachte er, aber ich kenne dich: Albert Ernest Merriman, Sohn des Samuel. Was für ein Abenteuer!
    Er folgte Wood über einen schummrigen Feldweg; einmal kamen sie an einem Wirtshaus vorbei, doch das einzige Zeichen von Leben war ein Mann, der auf der Vortreppe herumlungerte und eifrig an seiner Mütze kaute. Nach acht oder neun Minuten, in denen sie nur hier und da von einer Gaslaterne aufgestört wurden, waren sie an dem dunklen, wuchtigen Bau von St. Mark’s mit seinem hohen Satteldach angelangt. Wood führte seinen Brotherrn so dicht an der Südwand entlang, dass Arthur den grauen, purpurrot gemaserten Stein erkennen konnte. Als sie am Portal vorbeikamen, tauchten hinter der Kirche zwei rund dreißig Meter weiter westlich gelegene Gebäude auf: rechts ein Schulgebäude aus dunklem Backstein mit einem schwachen, heller abgesetzten Rautenmuster; links das stattlichere Pfarrhaus. Kurz darauf schaute Arthur auf die breite Treppe, auf der fünfzehn Jahre zuvor der Schlüssel zur Schule von Walsall gelegen hatte. Er hob den Türklopfer an, überlegte, wie behutsam er ihn fallen lassen sollte, und stellte sich dabei vor, mit wie viel mehr Getöse Inspector Campbell und sein Trupp von Hilfspolizisten hier eingebrochen waren und welchen Aufruhr sie in diesem stillen Haus verursacht hatten.
    Der Pfarrer, seine Frau und seine Tochter erwarteten sie. Sir Arthur sah sofort, woher Georges ungekünstelte gute Umgangsformen und auch seine Zurückhaltung stammten. Die Familie freute sich über sein Eintreffen, doch ohne Überschwang; sie war sich seines Ruhms bewusst, doch nicht davon eingeschüchtert. Er war erleichtert, sich ausnahmsweise einmal in Gesellschaft dreier Menschen zu befinden, von denen keiner, darauf hätte er gewettet, je ein einziges seiner Bücher gelesen hatte.
    Der Pfarrer war von hellerer Hautfarbe als sein Sohn, hatte einen breiten Kopf mit beginnender Stirnglatze und die kräftige Gestalt einer Bulldogge. Sein Mund war ebenso geformt wie der Georges, sah aber in

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