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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Fragezeichen.
    »Der Fall Beck, Sie erinnern sich doch sicher an den Fall Beck? Wirklich nicht?«
    Sir Arthur schüttelte scherzhaft-tadelnd den Kopf. »Adolf Beck. Norwegischer Herkunft, soweit ich mich erinnere. Verurteilt wegen betrügerischen Verhaltens gegenüber Frauen. Man hielt ihn für einen ehemaligen Sträfling namens – ausgerechnet! – John Smith, der wegen ähnlicher Vergehen im Gefängnis gesessen hatte. Beck bekam sieben Jahre Zuchthaus. Vor etwa fünf Jahren wurde er bedingt entlassen. Drei Jahre später erneut festgenommen. Wieder für schuldig befunden. Dem Richter kamen Zweifel, das Urteil wurde aufgeschoben, und wer taucht in der Zwischenzeit auf – der eigentliche Betrüger Mr Smith. An eine Einzelheit des Falls erinnere ich mich noch gut. Woher wusste man, dass Beck und Smith nicht ein und dieselbe Person waren? Der eine war beschnitten, der andere nicht. Von solchen Kleinigkeiten hängt bisweilen die ganze Gerechtigkeit ab.
    Ah. Jetzt sehen Sie noch verwirrter aus als vorher. Durchaus verständlich. Der springende Punkt. Zwei springende Punkte. Erstens, Beck wurde aufgrund der falschen Identifizierung durch mehrere Zeuginnen verurteilt. Zehn oder elf, um genau zu sein. Ich enthalte mich jeden Kommentars. Er wurde aber auch aufgrund des eindeutigen Gutachtens eines gewissen Sachverständigen für gefälschte und anonyme Handschriften verurteilt. Unseres alten Freundes Thomas Gurrin. Der wurde vor den Untersuchungsausschuss zum Fall Beck zitiert und musste zugeben, dass sein Gutachten zweimal zur Verurteilung eines Unschuldigen geführt hatte. Und ein knappes Jahr vor diesem Eingeständnis seiner Unfähigkeit schwor er tausend Eide gegen George Edalji. Meiner Ansicht nach sollte ihm jeder weitere Auftritt im Zeugenstand verboten werden, und jeder Fall, an dem er beteiligt war, sollte erneut überprüft werden.
    Aber egal, Punkt zwei. Nach dem Bericht des Untersuchungsausschusses wurde Beck begnadigt und bekam fünftausend Pfund aus der Staatskasse zugesprochen. Fünftausend Pfund für fünf Jahre. Sie können sich den Tarif selbst ausrechnen. Ich fordere dreitausend.«
    Die Kampagne kam voran. Er würde an Dr. Butter schreiben und um ein Gespräch bitten; an den Rektor der Schule von Walsall, um Erkundigungen über den Jungen Speck einzuholen; an Captain Anson, um die Polizeiakten über diesen Fall einsehen zu dürfen; und an George, um ihn zu fragen, ob er in Walsall je in irgendwelche Händel verwickelt gewesen war. Er würde den Bericht über den Fall Beck einsehen und sich das ganze Ausmaß von Gurrins Erniedrigung bestätigen lassen, und vom Innenministerium würde er in aller Form eine neue und abschließende Untersuchung der ganzen Angelegenheit fordern.
    In den nächsten Tagen wollte er sich mit den anonymen Briefen befassen und versuchen, ihnen ihre Anonymität zu nehmen, indem er von der Graphologie zur Psychologie und weiter zu einer möglichen Identität gelangte. Dann würde er das Dossier an Dr. Lindsay Johnson senden, damit dieser fachmännische Vergleiche mit Proben von Georges Handschrift anstellte. Johnson war die größte Kapazität in ganz Europa und von Maître Labori in der Dreyfus-Affäre hinzugezogen worden. Ja, dachte er: Wenn ich mit alldem fertig bin, mache ich aus dem Fall Edalji einen ebensolchen Skandal, wie sie es drüben in Frankreich aus der Dreyfus-Affäre gemacht haben.
    Er setzte sich mit den Briefbündeln, einer Lupe, einem Notizbuch und seinem Drehbleistift an den Schreibtisch. Er holte tief Luft und löste dann langsam, vorsichtig, als könnte ein böser Geist daraus entfleuchen, die Bänder von den Päckchen des Pfarrers und den Bindfaden von dem Brookes. Die Briefe des Pfarrers waren mit Bleistift datiert und in der Reihenfolge des Eintreffens nummeriert; die des Eisenwarenhändlers wiesen keine erkennbare Ordnung auf.
    Er las sie durch, las sich durch all den giftigen Hass und die anzügliche Vertraulichkeit, die Prahlerei und den Wahnsinn, die großspurigen Behauptungen und die Banalität. Ich bin Gott ich bin der allmächtige Gott ich bin ein Narr ein Lügner ein Verleumder ein Denunziant Oh ich mache dem Mann von der Post die Hölle heiß . Es war lächerlich, doch eine Lächerlichkeit um die andere ergab eine Grausamkeit, dass die Opfer darunter hätten geistig zusammenbrechen können. Während Arthur weiterlas, ließen seine Wut und sein Abscheu allmählich nach, und er versuchte, sich in die Formulierungen zu vertiefen. Ihr dreckigen

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