Arthur & George
Verstümmelung eines Pferdes, zweier Schafe und eines Lamms verurteilt worden war. Die Polizei behauptete selbstverständlich, dieser ungehobelte Bursche, der weder lesen noch schreiben konnte und ständig in Wirtshäusern herumhockte, sei ein Komplize des als kriminell bekannten Edalji. Eindeutig verwandte Seelen, dachte Arthur sarkastisch. Ob Farrington ihn wohl weiterbrächte? Ob er lediglich ein Nachahmungstäter war?
Vielleicht konnte er aus dem geschäftstüchtigen Brookes und dem geheimnisvollen Speck etwas herausholen. Speck war ein seltsamer Name – der ihn im Moment allerdings gedanklich nur nach Südafrika führte. Dort hatte er viel Speck gegessen, der in den afrikanischen Kolonien ein beliebtes Nahrungsmittel war. Im Unterschied zum britischen Speck konnte er von allen möglichen Tieren stammen – ja, er erinnerte sich, einmal Nilpferdspeck gegessen zu haben. Wo war das gleich gewesen? In Bloemfontein oder auf der Reise nach Norden?
Jetzt schweiften seine Gedanken ab. Und Arthurs Erfahrung nach musste man erst seinen Kopf klären, bevor man sich konzentrieren konnte. Holmes hätte wohl auf seiner Geige gespielt oder sich dem Genuss hingegeben, der seinem Schöpfer mittlerweile peinlich war. Keine Kokainspritze für Arthur: Er schwor auf eine Tasche voller Golfschläger mit Hickoryschaft.
Er hatte immer gemeint, das Spiel sei – theoretisch – perfekt auf ihn zugeschnitten. Es verlangte ein gutes Auge, Verstand und Körpergeschick: genau die richtige Kombination für einen Ophthalmologen, der zum Schriftsteller geworden war und sich seine körperliche Vitalität bewahrt hatte. So weit jedenfalls die Theorie. In der Praxis war Golf wie eine lockende Verführerin, die sich dann doch wieder entzog. Auf dem ganzen Erdball hatte sie schon ihr Possenspiel mit ihm getrieben.
Auf der Fahrt zum Clubhaus von Hankley musste er wieder an die rudimentäre Anlage vor dem Hotel Mena House denken. Dort landete ein Slice womöglich im Bunker eines Grabs von irgendeinem Ramses oder Thothmes von ehedem. Eines Nachmittags hatte ein Passant Arthurs kraftvolles, aber erratisches Spiel taxiert und bissig bemerkt, seines Wissens seien Ausgrabungen in Ägypten mit einer Sondersteuer belegt. Noch verrückter aber war die Runde Golf gewesen, die er mit Kipling bei dessen Haus in Vermont gespielt hatte. Das war um Thanksgiving herum, es lag bereits hoher Schnee, und jeder geschlagene Ball wurde umgehend unsichtbar. Zum Glück kam einer von ihnen – sie stritten immer noch darum, wer es gewesen war – auf die Idee, die Bälle rot anzumalen. Damit hörte die Verrücktheit aber noch nicht auf, denn die eisige Schneekruste ließ jeden auch nur annähernd anständigen Schlag phantastisch rollen. Irgendwann hatten er und Rudyard ihre Drives von einem abschüssigen Hang abgeschlagen; es gab keinen Grund, warum die leuchtend bunten Bälle jemals Halt machen sollten, und so schlitterten sie ganze zwei Meilen weit bis in den Connecticut River. Zwei Meilen: Das hatten er und Rudyard immer steif und fest behauptet, und wenn gewisse Clubhäuser da skeptisch waren, sollte sie der Teufel holen.
Heute aber zeigte sich die kokette Verführerin von der freundlichen Seite, und auf dem achtzehnten Fairway sah er noch Chancen, unter 80 zu bleiben. Wenn er mit seinem Niblick so weit pitchen würde, dass er einlochen könnte … Als er zum Schlag ansetzte, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er nicht mehr oft auf diesem Platz spielen würde. Aus dem einfachen Grund, dass er aus Undershaw fortziehen musste. Aus Undershaw fortziehen? Unmöglich, antwortete er automatisch. Ja, aber dennoch unumgänglich. Er hatte das Haus für Touie gebaut, die dessen erste und einzige Herrin gewesen war. Wie könnte er Jean als seine Braut dorthin führen? Das wäre nicht nur ehrlos, sondern geradezu unanständig. Dass Touie in ihrer Engelsgüte von der Möglichkeit gesprochen hatte, dass er wieder heiraten könnte, war gut und schön; doch eine zweite Frau in dieses Haus zu führen und dort mit ihr eben die Wonnen zu genießen, die ihm und Touie jede Nacht ihres gemeinsamen Lebens unter diesem Dach verboten gewesen waren, das war eine ganz andere Sache.
Natürlich kam das überhaupt nicht in Frage. Aber war es nicht äußerst taktvoll und klug von Jean, ihn nicht darauf anzusprechen, sondern ihn selbst zu dieser Erkenntnis finden zu lassen? Sie war wirklich eine außergewöhnliche Frau. Und es rührte ihn auch, dass sie sich in dem Fall Edalji engagieren wollte.
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