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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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müssen alle beide übergeschnappt sein.«
    »George, das ist ein kindischer Ausdruck. Auf jeden Fall ist es unsere Christenpflicht, den Schwachen im Geiste mit Mitleid und Fürsorge zu begegnen.«
    »Es tut mir leid, Vater. Dann kann ich nur annehmen, dass sie … dass sie mich aus einem Grunde verdächtigen, den ich nicht begreife.«
    »Und was meint er deiner Ansicht nach, wenn er schreibt ›Meine Informationen in dieser Sache stammen nicht von der Polizei‹?«
    »Er meint wohl, dass ihm jemand einen Brief geschrieben hat, in dem er mich denunziert. Es sei denn … es sei denn, er sagt nicht die Wahrheit. Womöglich tut er so, als wisse er mehr, als er weiß. Vielleicht ist es nur Bluff.«
    Shapurji lächelt seinem Sohn zu. »George, mit deinen Augen wäre nie ein Detektiv aus dir geworden. Doch mit deinem Verstand wirst du ein hervorragender Solicitor werden.«

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Arthur
    Arthur und Louisa wurden nicht in Southsea getraut. Sie wurden auch nicht in Minsterworth, Gloucestershire, getraut, der Heimatgemeinde der Braut. Auch in Arthurs Geburtsstadt wurden sie nicht getraut.
    Arthur war als frischgebackener Arzt aus Edinburgh fortgegangen und hatte die Mama, seinen Bruder Innes und die drei jüngeren Schwestern – Connie, Ida und die kleine Julia – zurückgelassen. Er hatte auch den anderen Bewohner der Wohnung zurückgelassen, Dr. Bryan Waller, angeblich ein Dichter, unbestreitbar ein Zimmerherr und ein Bursche, der das Leben verflucht leicht nahm. Bei aller Dankbarkeit für Wallers Hilfe als Tutor nagte noch etwas an Arthur. Er konnte sich nie so recht von seinem Verdacht befreien, die Hilfe des Zimmerherrn sei nicht ganz uneigennützig gewesen; doch wo genau dessen Interessen liegen mochten, konnte er nicht ergründen.
    Bei seinem Fortgang hatte Arthur angenommen, Waller werde sich bald mit einer eigenen Praxis in Edinburgh niederlassen, werde sich dort eine Frau und eine Reputation zulegen und dann zu einer gelegentlichen Erinnerung verblassen. Diese Erwartungen sollten sich nicht erfüllen. Arthur war in die Welt hinausgezogen, um seine schutzlose Familie zu ernähren, und musste dann feststellen, dass sich Waller zu deren Beschützer aufgeschwungen hatte, was ihm überhaupt nicht zustand, verdammt nochmal. Er war, um einen Ausdruck zu gebrauchen, den Arthur in seinen Briefen an die Mama mit Bedacht vermied, zu einem Kuckucksei geworden. Bei jeder Heimkehr meinte Arthur gutgläubig, die seit seinem letzten Besuch in der Schwebe gebliebene Familienerzählung werde dort wieder aufgenommen, wo sie abgebrochen war. Doch jedes Mal musste er erkennen, dass die Geschichte – seine Lieblingsgeschichte – ohne ihn weitergegangen war. Er sah sich nach Worten, unverhofften Blicken und Anspielungen haschen, nach Anekdoten, in denen er keine Rolle mehr spielte. Hier ging ein Leben ohne ihn weiter, und die Seele dieses Lebens war offenbar der Zimmerherr.
    Bryan Waller ließ sich weder als Arzt nieder, noch wurden seine dichterischen Anwandlungen zu einem regelrechten Beruf. Er erbte einen Landsitz in Ingleton im Westen von Yorkshire und begnügte sich mit dem müßigen Leben eines englischen Gutsherrn. Das Kuckucksei hatte nun selbst zehn Hektar Waldbesitz um ein Nest aus grauem Stein, das Masongill House hieß. Nun denn, umso besser. Nur hatte Arthur diese gute Nachricht kaum vernommen, als schon ein Brief der Mama eintraf mit der Mitteilung, sie, Ida und Dodo zögen gleichfalls aus Edinburgh fort und gleichfalls nach Masongill, wo ein Cottage für sie hergerichtet werde. Die Mama bemühte sich gar nicht um eine Rechtfertigung – die gesunde Luft, ein kränkliches Kind vielleicht –, sie ließ ihn nur wissen, dass dies geschah. Ja, bereits geschehen war. Ach ja, da war doch eine Rechtfertigung: Der Mietzins war äußerst gering.
    Arthur empfand das als Menschenraub und Betrug zugleich. Er konnte ganz und gar nicht glauben, dass Waller hier wie ein Kavalier gehandelt hatte. Ein wahrhaft edler Ritter hätte dafür gesorgt, dass der Mama und ihren Töchtern eine geheimnisvolle Erbschaft zugefallen wäre, während er selbst zu einem langen und möglichst gefahrvollen Ritterzug in ferne Lande aufgebrochen wäre. Ein wahrhaft edler Ritter hätte auch nicht Lottie oder Connie, welche der beiden es auch gewesen sein mochte, den Laufpass gegeben. Arthur hatte keine Beweise, und vielleicht war es nicht mehr gewesen als ein Flirt, der falsche Erwartungen geweckt hatte, doch irgendetwas war da vorgefallen, wenn er gewisse

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