Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
Zeit«
genannt wurde, als Merlin wahnsinnig und weinend aus dem Norden zurückgekehrt war. Doch selbst als er wieder zu Verstand kam, holte er Guendoloen nicht zurück, gestattete ihr allerdings, in einer kleinen Hütte am Palisadenzaun zu leben, wo sie ihre Tage damit verbrachte, ihren Gemahl mit Bannsprüchen zu belegen und uns andere mit kreischenden Flüchen einzudecken. Druidan haßte sie besonders. Manchmal attackierte sie ihn mit einem Bratspieß. Dann hastete Druidan zwischen den Hütten hindurch, während Guendoloen hinter ihm herjagte. Wir Kinder feuerten sie, nach Zwergenblut lechzend, eifrig an, aber er schaffte es immer wieder, ihr zu entkommen.
Es war also ein recht seltsamer Ort, an den Norwenna mit dem Edling Mordred kam, und obwohl ich ihn als einen Ort des Schreckens geschildert haben mag, war er in Wirklichkeit eine wunderbare Zuflucht. Wir waren die privilegierten Kinder Lord Merlins, wir lebten frei, wir brauchten kaum zu arbeiten, wir lachten, und Ynys Wydryn, die Glasinsel, war für uns ein glückliches Zuhause.
Norwenna traf zur Winterzeit ein, als Avalons Moore mit Eis überzogen waren. In Ynys Wydryn gab es einen Zimmermann namens Gwlyddyn, dessen Frau einen kleinen Jungen im selben Alter wie Mordred geboren hatte; dieser Gwlyddyn machte uns Schlitten, und die Luft hallte von unseren fröhlichen Rufen wider, wenn wir die schneebedeckten Hänge des Tor hinabglitten. Ralla, Gwlyddyns Ehefrau, wurde zu Mordreds Amme bestimmt, und der Prinz wuchs und gedieh trotz seines verkrüppelten Fußes. Selbst Norwennas Gesundheitszustand besserte sich, als die bittere Kälte nachließ und die ersten Schneeglöckchen des Winters unter den Dornenhecken rings um die heilige Quelle am Fuß des Tor aufblühten. Die Prinzessin war nicht sehr kräftig, doch Morgan und Guendoloen verabreichten ihr Kräuter, die Mönche beteten, und wie es schien, ging ihre WochenbettKrankheit endlich vorüber. Jede Woche brachte ein reitender Bote seinem Großvater, dem Großkönig, die neuesten Nachrichten über den Gesundheitszustand des Kronprinzen, und jede gute Nachricht wurde mit einem Goldstück, einem Horn voll Salz oder einer Flasche kostbaren Weines belohnt, die Druidan heimlich an sich brachte.
Wir alle warteten auf Merlins Rückkehr, aber er kam nicht; der Tor wirkte leer ohne ihn, obwohl unser Alltag sich kaum veränderte. Die Vorratslager mußten immer wieder aufgefüllt, die Ratten getötet und dreimal am Tag Feuerholz und Quellwasser den Berg hinaufgeschleppt werden. Gudovan, Merlins Schreiber, führte Buch über die Zahlungen der Pächter, während Hywel, der Verwalter, über die Besitzungen ritt, um sicherzustellen, daß keine Familie ihren abwesenden Lord um seine Steuern betrog. Gudovan und Hywel waren beide vernünftige, praktische, fleißige Männer, was, wie Nimue fand, bewies, daß Merlins exzentrische Neigungen dort endeten, wo ein Einkommen begann. Gudovan war es gewesen, der mir Lesen und Schreiben beibrachte. Eigentlich hatte ich so unkriegerische Dinge nicht lernen wollen, aber Nimue hatte darauf bestanden. »Du hast keinen Vater«, erklärte sie mir, »deswegen wirst du dein Fortkommen mit Hilfe deiner eigenen Fähigkeiten suchen müssen.«
»Aber ich will Krieger werden!«
»Das wirst du auch«, versicherte sie mir, »aber nur, wenn du Lesen und Schreiben lernst.« Tatsächlich besaß sie trotz ihrer Jugend eine so große Autorität, daß ich ihr glaubte und mir diese gelehrten Fertigkeiten längst angeeignet hatte, als ich erfuhr, daß ein Krieger sie nicht brauchte.
Also lehrte mich Gudovan Lesen und Schreiben, während mich Hywel, der Verwalter, in der Kunst des Kämpfens unterrichtete. Vor allem bildete er mich am Fechtstock aus, dem Knüppel der Bauern, die damit Schädel spalten konnten, mit dem man aber auch Schwertstreiche oder das Zustoßen mit dem Speer zu imitieren vermochte. Bevor er durch eine sächsische Streitaxt ein Bein verlor, war Hywel ein berühmter Krieger in Uthers Armee gewesen. Er ließ mich exerzieren, bis meine Arme stark genug waren, um ein schweres Schwert genauso mühelos und schnell zu schwingen wie einen Fechtstock. Die meisten Krieger, erklärte mir Hywel, verließen sich auf brutale Gewalt und Alkohol statt auf ihre Geschicklichkeit. Wie er mir sagte, würde ich Männern begegnen, die vor Met und Ale schwankten und deren einzige Kunst darin bestand, gigantische Schläge auszuteilen, die zwar einen Ochsen umhauen würden, aber ein nüchterner Mann, der die neun
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