In unseren grünen Jahren: Roman (Fortune de France) (German Edition)
ERSTES KAPITEL
Ha gewiß! Wie begeistert ich auch sein mochte, in jenem Monat Juni, mit meinem lieben Bruder Samson und unserem Diener Miroul über Berge und Täler die großen Straßen Frankreichs hin zu galoppieren, war mir bisweilen doch das Herz gar schwer, weil ich die im Sarladais gelegene Baronie Mespech weit hinter mir ließ. Wenig fehlte, daß mir mitten im Reiten die Tränen ins Auge drängten, wenn ich an das zinnenbewehrte große Nest dachte, in dem ich aus dem Ei geschlüpft war und Federn angesetzt hatte, vor den Wirren der Zeiten durch seine Mauern geschützt und mehr noch durch die Tapferkeit meines Vaters, meines Onkels Sauveterre und unserer Soldaten; denn treffend sagt unser perigurdinisches Sprichwort: Die einzig wehrhaften Mauern sind mutige Männer.
Ja nun! Wir waren inzwischen fünfzehn Jahre alt, hatten das Latein gut eingetrichtert in unsere Köpfe (wo neben der Langue d’oc schon das Französische sich eingenistet), überdies unsere Tapferkeit trefflich bewiesen zu Lendrevie – war es da nicht an der Zeit, uns der Daunenwärme unserer Barberine zu entheben, die Kinderjäckchen abzustreifen und (da wir das Pech hatten, Zweitgeborene zu sein, mein lieber Samson gar noch Bastard) unsere Studien voranzutreiben? Und zwar, so hatte mein Vater entschieden, in Montpellier.
In dieser Stadt hatte auch er in seiner Jugend studiert. Er mochte sie sehr. Und ihre Medizinschule, an der einst Rabelais seine Thesen verteidigte, schätzte er mehr als jede andere, inbegriffen die von Paris; er schätzte ihren Wagemut, ihre Fächervielfalt und ihre neuen Lehren, weshalb sie denn in dieser zweiten Hälfte des Jahrhunderts, so seine Worte, lebhafter glänzte als im voraufgegangenen Jahrhundert die Schule von Salerno.
Doch sehr lang und gefahrvoll war der Weg von Sarlat nach Montpellier, besonders für drei Hugenotten, die insgesamt keine fünfzig Jahre alt waren, überdies wir in wirren Zeiten reisten,ausgangs der Kriege, in denen die Unseren und die Katholiken sich gegenseitig grausam abgeschlachtet hatten. Gewiß, jetzt regierte eine Art Frieden zwischen den zwei Parteien, jedoch ein grollender, zänkischer. Wieder aufgeflammt waren die Beunruhigungen der Unseren 1565, nach der Begegnung von Bayonne, denn da hatte sich Katharina von Medici, so das Gerücht, in Geheimverhandlungen mit dem Herzog von Alba bereitgefunden, zur Vermählung ihrer Tochter Margot mit Don Juan von Spanien das Blut der französischen Hugenotten beizusteuern. Aber Philipp II. hatte dann letztlich, und nicht ohne Überheblichkeit, davon Abstand genommen, sein eigen Blut abermals mit Frankreichs Thron zu verbinden. Und noch schlimmer: Im darauf folgenden Jahr hatte der sehr katholische König, erzürnt darüber, daß die Franzosen sich so nah seinen amerikanischen Besitzungen einnisteten, und jäh seine christlichen Glaubenssätze vergessend, in einem Überraschungsfeldzug unsere in Florida siedelnden Bretonen niedergemacht. Katharina von Medici war darob in einen so unmäßigen Zorn geraten, daß der Spanier an Frankreichs Hof Reputation verlor und, bei allem papistischen Eifer, nicht mehr so unverblümt die Ermordung unserer protestantischen Führer, insgleichen Verbannung oder Scheiterhaufen für die Masse unserer Brüder zu fordern wagte.
Als diese blutigen Ansinnen ausgeräumt waren, zumindest für eine gewisse Zeit, durfte Fortuna dem Land wieder lächeln. Der Friede schien gut zu keimen, die papistischen Eiferer verloren an Dreistigkeit, die gemäßigten Katholiken schöpften Hoffnung auf einen Ausgleich mit den Unseren. Trotzdem mußte, wer durch das Königreich ritt, auf Diebsgesindel gefaßt sein, das seit den Bürgerkriegswirren die Wälder behauste, an den Kreuzungen lauerte, die Brücken besetzt hielt und Maut forderte und außer Raub unendlich viele Grausamkeiten beging.
Freilich waren wir seit dem zartesten Kindesalter – kaum daß wir Barberines schönen Brüsten entwöhnt – im Waffenhandwerk geübt worden und ritten hier, des Ernstfalls gewärtig, kriegsmäßig gerüstet: Helm auf dem Kopf, den leichten Küraß schützend vor der Brust, das Kurzschwert am Schenkel, den Dolch im Gürtel; auch lugten die Griffe unserer Pistolen aus den Satteltaschen und prangten unsere Arkebusen auf dem Packpferd, das Miroul an der Leine mitführte. Und so meinten wir, Samson und ich, die Schurken wenig fürchten zu müssen.Miroul jedoch, mit den Tücken der Landstraßen vertraut, obzwar ein junger Bursche, mahnte uns, wie
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