Aschenpummel (German Edition)
mich an. Nicht meine Hüften, nicht meine Waden, nur mein Gesicht. Ich starrte zurück. Rechts von mir nahm ich eine Bewegung wahr, das musste Bonnie-Denise sein, die wahrscheinlich ebenfalls glotzte.
»Ähm, möchten Sie Schuhe kaufen?«, fragte ich vorsichtig und fügte dann schnell hinzu: »Sicher … oder?« Natürlich, du Idiotin, was denn sonst, er wird wohl kaum gekommen sein, um dich zu besuchen. Doch dass der anbetungswürdige Pirat so etwas Gewöhnliches tun sollte wie Schuhe kaufen, konnte ich mir einfach nicht vorstellen.
Trotz der ausgebeulten Hose und des ungebügelten Hemds – ach, könnte ich nur für ihn bügeln – sah er überirdisch aus. Die Augenklappe schien frisch geputzt zu sein und glänzte mit seinem sichtbaren grünen Auge um die Wette. Was hielt er denn da in der Hand? Blaue Fransen lugten aus seiner Faust hervor – ich war plötzlich in höchster Alarmbereitschaft – und als er die Worte sagte: »Das haben Sie gestern bei mir vergessen …«, machte ich einen Satz auf ihn zu und riss ihm das unglückselige Fransending aus der Hand. Doch ich war nicht schnell genug.
»Das ist ja einer von unseren Schals! Mit Preisschild! Teddy«, Be-De sah mich empört an, »hast du ihn gestohlen?«
»Gestohlen? Nein! Mir war gestern Abend so kalt und da hab ich –«
»Kalt? Du hast den ganzen Nachmittag geschwitzt wie ein Schwein, also bitte!«
»Schweiß ist nass und da wird einem kalt«, war das Einzige, was mir dazu einfiel. Könnte nicht bitte ein Ufo kommen und mich zu irgendwelchen Aliens bringen, die mich bei lebendigem Leib ausweiden und danach verspeisen würden? Nur bitte, bitte weg von hier! Und dass Bonnie-Denise jetzt auch noch demonstrativ an dem beschissenen Schal schnüffelte und dabei das Gesicht verzog, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, machte die Sache nicht unbedingt besser.
»Na dann …«, begann der Pirat zögerlich und sah interessanterweise so aus, als hielte er nach demselben Ufo Ausschau. Das gab mir Mut. »Danke, dass Sie extra vorbeigekommen sind. Noch dazu an Ihrem freien Tag …«
»Ja genau«, mischte Be-De sich ein. »Das wollte ich eh schon immer wissen: Wieso haben Sie am Samstag nicht geöffnet? Kann sich das ein kleiner Laden wie der Ihre in diesen Zeiten überhaupt noch leisten?« Und dabei sah sie den Piraten an, als wäre er der faulste Mensch, der ihr je untergekommen war.
»Wenn ich auf die Einnahmen aus meinem Geschäft angewiesen wäre, dann könnte ich mir das Leben auch bei dreihundertfünfundsechzig offenen Tagen im Jahr nicht leisten«, erwiderte der Pirat. »Ich habe eigentlich nur eine wirkliche Kundin. Und das ist Frau Kis. Auf Wiedersehen.«
Er war so schnell fort, dass ich kaum Zeit hatte, rechtzeitig zu erröten. Ich drehte mich zu Bonnie-Denise und spürte, dass mir Tränen in die Augen traten. Mein Herz klopfte, und wären in diesem Moment Geige spielende Engel vom Himmel geschwebt, ich hätte mich nicht gewundert. Ich war seine einzige wirkliche Kundin. Ich war etwas Besonderes. Für ihn. Und ich Wahnsinnige hätte gestern beinahe dieses besondere Leben weggeworfen.
»Der hat doch einen Klamsch«, sagte Be-De. »Dem möchte ich nicht im Dunkeln begegnen. Außerdem merke«, fuhr sie mit erhobenem Zeigefinger fort, »wer eine Maske trägt, der hat was zu verbergen.« Daraufhin verschwand sie gewichtig hinter dem Vorhang. Mir hingegen schwappte das Glück aus den Augen und rann in Tropfen meine Wangen hinunter. Plötzlich fühlte ich eine tiefe innere Gewissheit, dass nun alles gut werden würde.
Das war, bevor der Nachmittag kam. Und der Abend.
4
Meine Hochzeit stellte ich mir so vor:
Der wunderschöne Pirat in einem dunklen Anzug, mit einem Auge, aus dem das Glück strahlt. Ich selbst – wundersam erschlankt – in einem weißen Seidenkleid, mit Margeriten im Haar. Tissi tiefstdekolletiert und höchstgeschlitzt und doch jämmerlich verblassend neben der überschäumenden Liebe der jungen Brautleute.
Die Menge raunt: »Was für ein Traumpaar.«
Der Pirat flüstert in mein Ohr: »Komm, Teddy, gehen wir, ich muss endlich mit dir allein sein. Ich halte es nicht mehr aus, auch nur eine Sekunde länger die Finger von dir zu lassen. Ich begehre dich so sehr …«
Seine Hände sind auf mir, seine Lippen überall …
Ich seufzte und riss die Augen auf. Be-De stand vor mir, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Hast du mir überhaupt zugehört?«, blaffte sie.
»Ja«, hauchte ich. Ich war so glücklich.
»Und?
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