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Aschenpummel (German Edition)

Aschenpummel (German Edition)

Titel: Aschenpummel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Miedler
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Mitte fünfzig.
    Als ich in den Verkaufsraum zurückkam, fand ich die kleine Melli mit einem riesigen Schokoeis auf der Bank vor, so sportlich hüpfend, dass die Federn krachten. Der Eifer ließ ihren Mund weit offen stehen, so dass eine stattliche Menge braun gefärbter Speichelfäden ihren Weg über Mellis Kinn und ihr Kleidchen auf die Bank fanden. Ihre Mutter stand daneben und gebot dem Spaß energisch Einhalt, indem sie immer wieder flüsterte: »Aber nein, Häschen. So was machen artige kleine Prinzesschen doch nicht. Häschen, bitte.«
    Dann fragte sie mich, ob wir vielleicht heute geeignete Sportschühchen für ihr Püppchen hätten. Ich schaffte es, ihr nicht die Augen auszukratzen. »Das Sugesäft hat nie söne Suhe«, quengelte Melli vor sich hin. Ich beugte mich zu ihr hinunter. »Da hast du recht, Melli. Besser, ihr geht in ein anderes Geschäft.«
    Als die beiden endlich weg waren, ging ich nach hinten, um einen Schwamm zu holen. Aschenputtel, wie es leibt und lebt. Was heißt Aschenputtel? Aschenpummel! Immerhin endlich mit einem Prinzen in Aussicht.
    Die Tür bimmelte. Ich drückte mich an einen Stapel Schuhkartons und hielt die Luft an. Bitte nicht Melli, bitte nicht.
    Stille. Ich schob den Vorhang ein Stück zur Seite und sah hinaus. Die gute Nachricht – es war nicht Melli. Die schlechte Nachricht – es war schlimmer. Eine von diesen Frauen, denen man schon von hinten ansah, wie hübsch sie waren. Und das lag gar nicht so sehr am cremefarbenen, sichtlich teuren Etuikleid, den schmalen Fesseln und der braunen Lockenpracht bis zum Hintern.
    Nein, ich habe schon vor langer Zeit herausgefunden, dass es vor allem eine Sache ist, die die Schönheiten den Normalsterblichen voraushaben. Und das ist ihre Haltung. Und damit meine ich nicht, dass sie stets kerzengerade durch die Straßen gehen, oh nein, die da zum Beispiel rollte ihre Schultern nach vorne, wodurch sie einen Buckel machte, dass Quasimodo vor Neid erblassen könnte. Dazu hielt sie ihre dünnen Ärmchen in den Ellenbogen und den Handgelenken abgewinkelt wie Tyrannosaurus Rex auf Futtersuche. Und dennoch. Es lag eine gewisse Erhabenheit in der Art, wie sie ihren Körper präsentierte und mit manikürten Fingern die Handtaschen am Ständer inspizierte.
    Ich könnte das vor dem Spiegel üben, so viel ich wollte, da wäre nichts zu machen. Weil mir die eine wesentliche Sache fehlt: das Wissen darum, begehrenswert zu sein. Die Erfahrung, allein schon durch meine Optik etwas darzustellen. Bei einer wie ihr würde ein intaktes Jungfernhäutchen auf dem Pathologentisch als Sensation gefeiert werden.
    Aus dem CD-Player erklang Sinatras »Girl from Ipanema«, und Frankie hätte sich wahrlich keinen passenderen Moment und keine bessere Traumfrau dafür aussuchen können. Ich ließ den Schwamm auf den Boden fallen, wischte mir die Hände am Rock ab, dann räusperte ich mich und hoffte, dass die Traumfrau zumindest einen Riesenzinken haben würde.
    Mit Schwung drehte sie sich um. Nein, vergebens gehofft. Sie hatte etwas äußerst Gefälliges in der Gesichtsmitte, ein ganz allerliebstes Stupsnäschen, und es kam sogar noch schlimmer.
    Die Schöne war Vanessa Hoffmann. Ich hatte sie seit sechzehn Jahren nicht gesehen. Ich war doppelt so alt wie damals. Doch auf der Stelle fiel ich in pubertäres Verhalten zurück. Meine Hände wussten nicht wohin. Meine Blicke schwirrten im Raum umher. Und die Pickel, die mir in diesem Moment ganz bestimmt im Gesicht wuchsen, konnte ich beinahe sprießen hören.
    Sie übernahm die Führung. »Ach du meine Güte … bist du …? Du bist es doch?«
    »Wir waren in derselben Klasse, ja«, antwortete ich.
    Auf ihrer Stirn zeigte sich ein ganz entzückendes Fältchen. »Ist das lange her …«
    Ich nickte. »Ewigkeiten.«
    »Wie die Zeit vergeht.«
    »Tick-tack, tick-tack«, machte ich, weil mir nichts Besseres einfiel, und kam mir dabei vor wie eine Psychopathin.
    Das Fältchen wuchs sich beinahe zur Falte aus, und Vanessa deutete auf das Auslagenfenster. »Ich bin nicht hier, um etwas zu kaufen«, stellte sie fest.
    »Okay …« Jetzt war sie die Psychopathin.
    »Ich – also um ehrlich zu sein, es war draußen so heiß und da dachte ich –«
    Der hübsche Mund verzog sich zu einem etwas schiefen Lächeln. Er wurde breiter und breiter. Ein juchzender Laut, der wohl jeden Mann in Ekstase versetzt hätte, entfloh ihm. Mir war das peinlich. Ich schätze, ich brauchte wohl eine gute Minute, um zu kapieren, dass sie weinte.

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